Photo by <a href="https://unsplash.com/@dovilerm?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditCopyText">Dovile Ramoskaite</a> on <a href="https://unsplash.com/collections/8zqAP9l-Y04/war-in-ukraine?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditCopyText">Unsplash</a>

Es muss in diesem Krieg auf jeden Fall auch um die Rolle der Medien gehen. Und „natürlich“ schlägt bei vielen Journalisten das Besserwisser-Gen entscheidend durch, das inzwischen ja fast als Berufskrankheit anerkannt gehört. Und „das hätte man alles wissen müssen“ ist wohlfeil, wenn nur auf PolitikerInnen mit Fingern gezeigt wird. So einfach sollte man es sich mal bitte nicht machen.

Und man sollte es sich auch nicht so leicht machen, dass man den Medien jetzt einfach unsachgemäße Parteinahme gegen Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine vorwirft.

Zusammenfassung

Ich will aber mal kurz voranstellen, welche Art von Texten ich als Diskussionsgrundlage ablehne, deren Autoren ignoriere, deren Argumente ich nicht für voll nehmen kann. Als Listicle:

  • „Aber“ – der Irak, der Kosovo usw. usf. Wir haben es seit Anfang der 2000er mit einem dysfunktionalen UN-Sicherheitsrat zu tun. Russland und China haben sich immer mehr von der Idee der werteorientierten internationalen Zusammenarbeit entfernt. Klar war jederzeit: egal was die mit Russland verbündeten Serben tun würden: eine Verurteilung durch den Sicherheitsrat würde es nicht geben. Stattdessen: windelweiche Appelle.
https://www.un.org/depts/german/de/sr-kosovo.html
  • Alle Abhandlungen über die NATO-Osterweiterungen, in denen die Akteure, nämlich die osteuropäischen ehemaligen Sowjetrepubliken bzw. Warschauer Pakt-Mitglieder weder mit ihren Ansichten noch Einstellungen vorkommen. Wer die Motive Polens, Ungarns, der baltischen Staaten, Sloveniens, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Bulgariens oder Rumäniens mal eben so „Außen vor“ lässt, der ist bei mir außen vor.
  • Wer in diesem Zusammenhang George Kennan und sonst niemanden zitiert, ist raus.

Ich empfehle, alle Texte, die einem so unterkommen, auf diese Kriterien zu testen. Denn viele Putinversteher, die sich bitterlich beklagen, von Putin „getäuscht“ worden zu sein, argumentieren nach wie vor so.

Drei Tage vor dem Angriff auf die Ukraine zeigt sich die US-zentrierte Weltsicht übrigens auch in der New York Times:

Sehr widerlich, wie hier die NATO und die Beitrittsentscheidungen alleine den USA zugeschrieben werden, als hätten andere Entitäten nix zu sagen.

Linkliste zwischendurch

Als „CIA-Agentin“ beschimpft wurde ich zum ersten Mal 2016 vom Hausherren einer Berliner Geburtstagsparty, deren Gäste die Partei Die Linke sympathisch fanden. Auf seine Frage, ob sich „Russland“ durch die Nato-Osterweiterung nicht bedroht fühlen müsse, hatte ich geantwortet: „Nein, Putin will sowieso Krieg.“

https://taz.de/Linke-Putin-Versteher_innen/!5840085/

Für viele meiner polnischen Freundinnen und Freunde war aber bereits ein anderes Datum magisch gewesen. 1999 war Polen der Nato beigetreten. Einmal fuhr ich vom Stettiner „Zentrum für europäische Integration“ durch den Villenort Pogodno und entdeckte eine Kaserne. Dort war das „Multinationale Korps Nordost“ der Nato stationiert. Polnische, dänische und deutsche Soldaten in einem Korps. Ich brauchte dieses Bild, um zu verstehen, was der damalige polnische Außenminister Radosław Sikorski sehr viel später sagte: „Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit.“

https://taz.de/Nato-in-Osteuropa/!5839905/

Inhaltlich wurde vor allem das Handeln der russischen Regierung entschuldigt: Putin reagiere lediglich auf jahrelange Provokationen des Westens – besonders der NATO. Der Kanal AUF1 bot für diese Position dem Verschwörungsideologen Christoph Hörstel, der zwei verschwörungsideologische Kleinstparteien gegründet hat (Deutsche Mitte, Neue Mitte), mit einem Interview eine Plattform. Bodo Schiffmann griff darüber hinaus die von Russland verbreitete Desinformation über eine „Entnazifizierung“ der Ukraine durch Russland auf, indem er behauptete, die NATO habe in der Ukraine eine faschistische Regierung an die Macht gebracht. Außerdem teilte er, wie auch Eva Herman, eine innerhalb des Milieus häufig anzutreffende Desinformation über US-finanzierte Biolabore in der Ukraine, was ebenfalls den Angriff Putins rechtfertigen sollte. Die Labore sollen an der Grenze zu Russland bzw. zur russisch besetzten Krim liegen, vom US-Verteidigungsministerium finanziert sein und an biologischen Waffen arbeiten. Diese Behauptungen sind seit Jahren Teil einer russischen Desinformationskampagne.

https://cemas.io/blog/positionen-ukraine/?utm_source=pocket_mylist
https://twitter.com/bastianoenrico/status/1501171947673161734?s=20&t=qwb6YHmVH4ZPAKFSxSviIw

NATO didn’t occupy Kosovo after driving Serbian forces out of the former Serbian province, but sent in peacekeepers. Russian troops, meanwhile, took control of Crimea even before its referendum to join Russia was held. NATO intervened in Kosovo only after significant evidence of Serbian abuses against ethnic Albanians, including mass killings and deportations. Russian forces intervened in Ukraine with no major abuses or violence reported against ethnic Russians. Kosovars declared independence but did not join their ethnic brethren in neighboring Albania in a single state. Crimea, which has a majority Russian population, signed a deal to join Russia two days after the referendum which was deemed flawed and undemocratic by the West.

https://apnews.com/article/russia-ukraine-vladimir-putin-racial-injustice-serbia-kosovo-756fa71c7ab417115ee3521a95791ca7

Medienkritik, oder?

Uebermedien ist ein medienkritisches Portal, das durchaus seine Meriten hat. Es ist sicher angebracht, auch die Kriegsberichterstattung in Deutschland und weltweit kritisch zu sehen. Nur stellt sich die Frage: auf welcher Basis? Besonders fragwürdig: die Suche nach „Friedensjournalismus“.

Ein Interview mit Dr. Florian Zollman „Senior Lecturer in Journalism an der Newcastle University in Großbritannien. Zu seinen Schwerpunkten gehören Kriegsberichterstattung, kritische politische Ökonomie der Medien und Propaganda.“

Und was sagt der Gute bereits in der ersten Antwort?

Hochrangige Wissenschaftler und Diplomaten haben seit Jahrzehnten davor gewarnt, dass die Nato-Osterweiterung von Russland als Provokation angesehen werden und die Lage militarisieren könnte

ebd.

George Kennan wird zitiert, wie das auch schon Krone-Schmalz getan hat, in ihrem traurigen Rechtfertigungsbeitrag für die Berliner Zeitung.

Was soll das mit der aktuellen Berichterstattung zu tun haben?

In den USA und auch in der Ukraine, aber vor allem in der Friedensbewegung, gibt es viele Stimmen, die sagen, dass es vielleicht doch noch diplomatische Mittel gibt, den Konflikt zu lösen. Durch das Gut-Böse-Framing rückt das wieder eher in den Hintergrund. Besser wäre eine friedensjournalistische Perspektive.

ebd.

Wir haben es mit Medien zu tun, die seit 2014, der Eroberung der Krim, nichts anderes getan haben, als über diplomatische Mittel zu berichten und vor einer Eskalation, gerne durch die „Nazis“ in Kiew, zu warnen. Sanktionen ja, aber reden, reden, reden. Über die Tatsache, dass alleine das Bestehen einer Ukraine als Staat eine ungeheure Zumutung für Putin und seine Nationalisten ist, wurde eher nicht geschrieben. Analysten sehen gerade wirklich wenig Diskussionsmöglichkeiten mit Russland, so leid einem das tun kann. Schön ist, dass das Modewort „Framing“ hier eingeführt wird, es dauert sicher nicht daran bis das „Narrativ“ auftaucht.

Das folgende nennt man „salvatorische Klausel“. Dass Putin das mit der Ukraine nicht hätte machen sollen, pfui, das muss man schon sagen, wenn man anschließend aber viele Gründe suchen will, warum am Ende die USA den bedauernswerten Kreml-Herren dazu gezwungen hat:

Die Ukraine wurde angegriffen, und das ist völkerrechtswidrig. Daher ist de jure und de facto die Ukraine das Opfer eines illegalen Angriffskrieges, für den es keine Rechtfertigung gibt. Trotzdem kann man hinterfragen, wie das medial inszeniert wird. Im Krieg versuchen alle Seiten, die Medien für ihr Narrativ zu gewinnen.

ebd.

Welcome to the Narrativ.

So sollte die Berichterstattung nicht nur Putins, sondern auch Selenskyis Aussagen kritisch beleuchten. Dazu gehört zum Beispiel Selenskyis Forderung einer Flugverbotszone. Denn eine von Nato-Staaten errichtete Flugverbotszone würde westliche Staaten direkt in den Krieg hineinziehen, was zu einem gefährlichen militärischen Konflikt zwischen Atommächten führen könnte.

ebd.

Ich sehe wirklich eine breite Diskussion in den Medien über diese Bitte oder Forderung. Und es überwiegen klar die warnenden Stimmen. In welcher Medienwelt lebt der Mann?

Jetzt kommt, als nächstes Buzzword, die Forderung nach „Constructive Journalism“. Klar.

Ein Beispiel ist die US-amerikanische Sendung „Democracy Now!“ von Amy Goodman. Darin geht es einerseits sehr viel um die zerstörerischen Auswirkungen, die die russische Invasion auf Zivilisten hat. Sie wird klar verurteilt, aber Goodman hat gleichzeitig auch Gäste aus der Ukraine, aus Russland, aber auch aus dem westlichen Kontext, die die historischen Zusammenhänge des Krieges diskutieren und konstruktive Vorschläge zu diplomatischen Lösungen machen. Wie kürzlich im Gespräch mit dem britischen Autor Anatol Lieven, der analysierte, wie ein konkretes Friedensabkommen zwischen der Ukraine und Russland aussehen könnte. Solche Experten zu Wort kommen zu lassen, ist Teil eines Friedensjournalismus.

end.

Erstens: ich weiß nicht, was Friedensjournalismus sein soll. Zweitens: kann man, wenn man den wollte, Anatol Lieven auch in deutschen Medien finden. Etwa hier beim Freitag (Übernahme eines Artikels im Guardian). Der Frankfurter Rundschau. Sogar in der Luzerner Zeitung.

In welcher Medienwelt lebt denn dieser Journalismus „Experte“? Habe ich schonmal gefragt, die Antwort: jedenfalls wohl kaum in der deutschsprachigen.

Die Interviewerin ist allerdings begierig, noch mehr Journalistenbashing aus ihrem Experten herauszukitzeln, daher die Frage

Im Irak-Krieg wurde der Begriff des „embedded journalism“ geprägt, also Journalisten, die mit den US-Soldaten an der Front waren, ganz nah dran. Nah dran ist jetzt auch „Bild“-Journalist Paul Ronzheimer: Er berichtet aus Kiew, hat Zugang zum ukrainischen Präsidenten, verbringt Zeit mit Bürgermeister Vitali Klitschko und dessen Bruder. Ist diese Nähe vorteilhaft?

ebd.

Das hat nun mit embedded nicht sehr viel zu tun, aber dazu müsste man sich die Arbeitsbedingungen von damals und heute etwas genauer ansehen. Und wenn jemand embedded ist, dann die chinesischen „Journalisten“, die mit der russischen Armee unterwegs sind.

Aber wie anders als mit dem Verweis auf den Irak-Krieg, der wirklich, wirklich von vielen Medien inzwischen sehr kritisch aufgearbeitet wurde, kann der Dr. antworten?

Eine Studie aus Großbritannien von Justin Lewis und Kollegen etwa hat gezeigt, dass im Irak-Krieg die wichtigsten britischen Rundfunkmedien in 89 Prozent ihrer abendlichen Nachrichtensendungen, die Iraks Waffenpotential behandelten, nahegelegt hatten, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen.

ebd.

Darf ich grundsätzlich werden? Diese Studien, die nur die Hauptnachrichtensendungen betrachten, sind es nicht wert, so stark beachtet zu werden. Denn, grob geschätzt, betrachten sie in Lagen wie jetzt oder bei Corona rund 10 Prozent der Berichterstattung, und sie liefern natürlicherweise nur aktuelle Meldungen vom Tag, selten Hintergründe die über Karten hinausgehen. Manchmal „he said, she said“. Kann sein. Aber kann man die andere Berichterstattung einfach wegblenden. Hierzulande etwa die Spezials, Brennpunkte, späten Nachrichten-Magazine, auslandsjournal, Weltspiegel, und so weiter und so weiter? Wenn man ein bestimmtes Ergebnis bevorzugt, sicher.

Friedensjournalismus?

Wer auf den gut dokumentierten historischen Kontext des Ukraine-Krieges mit Blick auf die Nato-Politik hinweist, wird als Putin-Versteher abgekanzelt.

ebd.

Heul doch. Ich würde das aber weniger als „Putin-Versteher“ mit Sympathien für die russische Aggression einsortieren, sondern einfach nur eine gehörige Portion Antiamerikanismus unterstellen. Denn wenn er nach anderen Kriegen gefragt wird, die „Vernachlässigen wir andere Kriege auf dieser Welt?“-Frage der Interviewerin, dann fällt ihm der Jemen ein. Und klar, nur eine der Seiten in diesem schwierigen Krieg:

Im Jemen, zum Beispiel, wurden Kriegshandlungen von Seiten Saudi-Arabiens in den vergangenen Monaten intensiviert. Wir wissen, dass die deutsche, die britische und die amerikanische Regierung Saudi-Arabien auch mit Waffen und zum Teil auch mit wichtiger Logistik unterstützen. Seit Jahren. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen sagte bis Ende 2021 etwa 377.000 Kriegstote im Jemen voraus, von denen fast 70 Prozent Kinder unter fünf Jahre seien. Wenn wir die Gräueltaten und die humanitäre Katastrophe im Jemen mehr vor Augen hätten, würden wir auch mehr Empörung haben, die dazu führen könnte, dass der Westen auf Saudi-Arabien einwirkt, den Krieg zu beenden. Genauso wie wir wollen, dass Russland den Krieg in der Ukraine beendet.

ebd.

In den vergangenen sieben Jahren habe ich mehr Berichte über den Jemen gesehen als über das anhaltende Sterben in der Ostukraine. Es gab mehr Angebote zu Dokumentationen zu dem Thema, und immer dann, wenn der Mittlere Osten Thema war, wurde der Jemen aufgegriffen.

Dokus aus der Ukraine: Mangelware.

[Aktueller guter Artikel in der taz zum Jemen, wer den liest, der kennt wenigstens auch die anderen Parteien in diesem Krieg/Bürgerkrieg, im Gegensatz zum Kommunikationswissenschaftler]

Der „Friedensjournalismus“ des Westens hatte mit diesem von Russland ständig befeuerten „Konflikt“ (ja, das Lieblingswort, aber hätte es nicht schon seit 2014 „Krieg“ heißen müssen?) wenig am Hut. Sanktionen, ja gut, dafür weiterhin Kretschmer, Schwesig, Platzeck, Dohnanyi, Wagenknecht, Gysi und viele andere in den Talkshows, in Interviews, in Statements. Am schönsten natürlich Wagenknecht am Sonntag vor dem Angriff bei Anne Will.

Wenn Journalismus Grund dafür hat, seine Berichterstattung zu überdenken, dann ist es eben der „verständnisvolle“ Umgang mit Russland, spätestens seit Georgien 2008. Aber wo liegt schon dieses Georgien. Dieses Tschetschenien. Transnistrien.

Stattdessen Fußball-WM in Russland, Formel 1 Rennen, Olympia in Sotschi. Business as usual. Statt Jemen hätte Dr. Zollmann mal Syrien und Libyen, vielleicht auch Mali nennen sollen. Da sind überall russische Truppen oder Söldner unterwegs? Ups. Passt nicht zu seinem Friedensjournalismus.

Wer nochmal?

Jetzt muss ich nur kurz mich noch um die Frage kümmern, wer ist dieser Dr. Zollmann. Dazu nur diese Fundsachen.

https://www.deutschlandfunk.de/die-medien-und-der-krieg-florian-zollmann-kommunikationswissenschaftler-dlf-ac28543d-100.html

Nach meiner Beobachtung ist das grob falsch, es wurde sehr viel über die Proteste und 15.000 Verhaftete in Russland berichtet, das alleine das Tragen eine leeren Plakats schon riskant ist. Über Putin Vertraute und die Oligarchen. Man könnte sagen: die Berichterstattung lässt sich nicht auf das Whataboutism von Zollmann ein. Das stimmt wohl.

Zollmann ist begehrter Gast bei den Nachdenkseiten:

Klassische Fehleinschätzung des Mannes:

https://www.nachdenkseiten.de/?p=79327

Er ist nicht Medienwissenschaftler, sondern interpretiert die Lage ganz eigen, und wenn die Medien dem nicht folgen, dann sind sie „falsch“. Wie mir der Satz „angeblich Truppen an die Grenze zur Ukraine verlegt hat“ doch gefällt. Angebliche Truppen sind jetzt in der Ukraine unterwegs?

Zollmann analysiert nicht Medien, er legt sein Erklärungsmuster und seine Weltdeutung an, und wenn die Medien die nicht übernehmen, dann sind sie manipulativ, gelenkt, uninformiert usw. usf.

Wer braucht solche „Kommunikationswissenschaftler“? Antwort: Nachdenkseiten und Uebermedien.

Und: Russland.

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