<span>Photo by <a href="https://unsplash.com/@howlingred70?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditCopyText">howling red</a> on <a href="https://unsplash.com/s/photos/tired?utm_source=unsplash&utm_medium=referral&utm_content=creditCopyText">Unsplash</a></span>

Okay, ich muss eigentlich zur „Studie“ (die keine ist) des Hamburger Nano-Wissenschaftlers Prof. Dr. Dr. h.c. Prof h.c. Roland Wiesendanger nichts schreiben, aber was soll eine Kategorie die „Studies from hell“ heißt ohne den heißesten Scheiß des Jahres 2021 (so far) machen. Geht nicht. Ich fasse mich auch hier kurz:

BILD Schlagzeile zu Pressemitteilung
BILD Titelseite 19.2.2021

So, dazu haben all diese Menschen schon ausreichend geschrieben:

Wiesendanger betrieb für seinen Text auch keine eigene Forschung. Er wertete lediglich andere Arbeiten aus, was bei naturwissenschaftlichen Studien eher unüblich ist. Dabei bediente er sich, wie er selbst schreibt, einer ungewöhnlichen Herangehensweise: Neben interdisziplinärer sowie fachspezifisch wissenschaftlicher Literatur habe er weitere Dokumente verwendet. Dazu zählen „wissenschaftliche Literatur ohne wissenschaftliche Begutachtung, Briefe, Korrespondenz und Kommentare publiziert in der wissenschaftlichen Literatur sowie Artikel in Print- und Online-Medien“.

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-virus-herkunft-professor-hamburg-101.html

Wiesendanger selbst erzählt ZDFheute, dass er die Veröffentlichung gemeinsam mit Uni-Präsident Dieter Lenzen geplant habe. „Ich bin stolz auf den Präsidenten der Universität Hamburg. Wir haben sehr umfangreich über die Szenarien gesprochen, welche Reaktionen es auf die Veröffentlichung geben wird. Reaktionen, die uns in die Ecke von Verschwörungstheorien stellen wollen.“

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-labortheorie-universitaet-hamburg-100.html

Roland Wiesendanger behauptet in seinem Papier, es solle „Basis einer breit angelegten Diskussion in der Bevölkerung“ sein. Das hat er, einerseits, erreicht – wenn man es an der Prominenz der Berichterstattung misst. Gleichzeitig hat er eine potentielle seriöse Diskussion, wenn er sie tatsächlich wollte, durch die unseriöse Art der Publikation zunichte gemacht. Und die „Bild“-Zeitung, die sich nun als sein wichtigster Medienpartner präsentiert, verhindert jede Form einer offenen Auseinandersetzung schon dadurch, dass sie die Thesen als Tatsachen präsentiert – was nicht den Anfang, sondern das Ende einer Debatte markiert.

https://uebermedien.de/57517/medien-kaufen-uni-wueste-materialsammlung-als-brisante-corona-studie-ab/

Und so weiter und so fort: dubiose nicht-wissenschaftliche Quellen und „eine Diskussion“ anstoßen wollen. Die Nachrichtenagentur dpa hat auf die Verbreitung der Pressemeldung der Uni Hamburg nach Prüfung durch die Wissenschaftsredaktion (!) verzichtet (!!). Der NDR dagegen folgte seiner lokalen Berichtspflicht ohne jedes Nachdenken, und der BILD passte das alles ohnehin in den Krawalljournalismus zu Corona.

Ich bin sehr feste der Meinung, dass man China nicht davonkommen lassen soll. Auf eine umfassende Aufklärung der Genese der Pandemie setzen muss. (Demnächst eine BBC/PBS-Doku zur Chronologie des Ausbruchs auf dem Dokusender ihres Vertrauens). Und dazu muss man tatsächlich diskutieren. Von Wissenschaftlern erwarte ich allerdings, dass sie das auf wissenschaftlicher Basis tun. Der Prof tut erstaunt darüber, dass dieser Maßstab an seine Veröffentlichung angelegt wird. Im Interview mit n-tv „ich kann die Kritik nicht nachvollziehen stellt er sich, aus meiner Sicht, etwas dämlich:

Sie geben als Quellen auch Beiträge der „Epoch Times“ und ein Youtube-Video an, dessen Ersteller bereits im April 2020 die Quelle des Coronavirus entdeckt haben will. Haben Sie Ihre Indizien für die Labor-Theorie dort gefunden?
Nein. Es steht auf der allerersten Seite meiner Studie geschrieben, dass es verschiedene Informationsquellen gibt. Angefangen von wissenschaftlicher Fachliteratur mit internationaler Begutachtung, Fachliteratur ohne wissenschaftliche Begutachtung, Artikel in Medien, auf sozialen Medien und natürlich auch Kommunikation persönlicher Art mit Kolleginnen und Kollegen insbesondere aus dem asiatischen, aber auch amerikanischen Raum. Das habe ich klar strukturiert, auch im Inhaltsverzeichnis und im Literaturverzeichnis.

https://www.n-tv.de/panorama/Ich-kann-die-Kritik-nicht-nachvollziehen-article22374133.html

Ja, die Quellen sind dubios, aber ich habe das doch verklausuliert auch geschrieben. Genutzt habe ich sie trotzdem. Okay, so geht heute wissenschaftliches Arbeiten? Die Quellen nicht bewerten und gewichten, einfach nur im Inhaltsverzeichnis separat aufstellen?

Kackendreist diese Antwort:

Ich weiß nicht mehr als Virologen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es im Sinne der Selbstkontrolle wichtig ist, dass manchmal auch Vertreter anderer Fachdisziplinen auf Vorgänge benachbarter Disziplinen schauen.

ebd.

Als letztes noch zu fachlichen Aussagen: wenn er eine Diskussion hätte haben wollen, dann hätte er sie führen können, in Hamburg, mit einer Gruppe an seiner Universität. Die Coronavirus Structural Task Force, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der DFG. Interessanterweise im Fachbereich Physik / Institut für Nanostruktur und Festkörperphysik. Nanu?

In seinem Interview geht es um die Frage, welcher Überträger für den Sprung von tierischen Viren zum Menschen verantwortlich sein könnte. Wiesendanger:

In diesem Fall gibt es für keine Theorie – Zoonose oder Laborunfall – einen Beweis. Eine Zoonose können Sie nur dann beweisen, wenn Sie das Zwischenwirts-Tier identifizieren. Es ist erstaunlich, dass das nach 15 Monaten noch nicht gelungen ist. In früheren Fällen von Coronaviren-bedingten Epidemien wie Sars oder Mers war das innerhalb von vier respektive zehn Monaten der Fall.

ebdn

dazu gibt es die Stellungnahme der Task Force:

Dass Zwischenwirte einer Zoonose nicht unmittelbar gefunden werden, ist nicht ungewöhnlich. Der Übertragungsweg von SARS-CoV wurde erst mehr als drei Jahre nach der SARS-Pandemie aufgeklärt ​[1]​; für MERS, welches erstmals 2012 beschrieben wurde, dauerte es zwei Jahre ​[2]​ und einige Informationen fehlen immer noch ​[2–4]​. Es gibt viele Hinweise darauf, dass Zwischenwirte für SARS-CoV-2 Schlangen, Schildkröten oder Schuppentiere gewesen sein könnten ​[5–7]​ und Übertragungen zwischen Menschen und verschiedenen Tieren wurden mehrfach nachgewiesen (was ja leider auch zur Tötung von vielen Nerzen geführt hat) ​[8]​. Die Unkenntnis eines Zwischenwirtes widerlegt aber in keinster Weise eine Zoonose als Ursache.

https://insidecorona.net/de/stellungnahme-zu-wiesendanger-uni-hamburg-labor-in-wuhan/

Alleine die Unterschiede in den Zeitangaben lassen ja recht tief blicken. Nach grober Draufsicht verweisen die Quellenangaben von Dr. Andrea Thorn auf peer-reviewte Texte.

Nur ein Streit an einem Hamburge Uni-Institut, zwischen ehrwürdigem Prof und jungen Wilden? Kann auch sein. Eine Study from hell bleibt es.

Meine Hochachtung vor Professorentiteln ist seit Jahren erschüttert. Das hier tut nichts, um das Vertrauen in den akademischen Betrieb wieder herzustellen.

Und je nach „Grundeinstellung“ haben Journalisten sich begierig auf die „Studie“ gestürzt. Einigen kam sie so gelegen wie der Lungenarzt mit Grundrechenproblemen („Ich mache ja praktisch alles allein und habe nicht einmal mehr eine Sekretärin als Rentner.“) in Sachen Stickoxyd. Etwas weniger Eile beim Wiedergeben von Pressemitteilungen würde nirgendwo im Journalismus schaden.

Photo by howling red on Unsplash