Zwei Vorbemerkungen.
Ich finde es schwer, Podcasts zu kritisieren. Ich kann jeden Text aus und neben dem Netz anhand von Belegstellen kritisieren, und zwar indem ich zitiere. Das geht bei Podcasts nicht. Ich habe kein Transskript und bin darauf angewiesen, mein Gedächtnis zu bemühen. Denn wie wahrscheinlich jede/r: ich sitze nicht mit Stift und Papier neben dem Lautsprecher. Ja, ich kann noch nicht mal meine Audio-Transskrip-Freiminuten bei Google nutzen, denn ich habe den Podcast ja nicht als Audiodatei. So ist es einfach schwierig, seine Hörerfahrungen nochmal zu überprüfen, und daher darf ich auch nicht zu viel Zeit zwischen Hören und Besprechen vergehen lassen, und das ist dann bei einem wöchentlichen Podcast ein Problem. Ein weiteres.
Und ich rege mich leider zu gerne über Formalia auf. Und das ist in erster Linie meine Erfahrung, dass bei Podcasts gerne aus „nicht“ „nich'“ wird. Und aus „ist“ wird „is'“- das treibt mich die Wände hoch (allerdings sitze ich da ja meist am Steuer oder in der Bahn, da lass ich das dann wieder). Was soll die Schlamperei, und warum lässt sie die Regie durchgehen?
Der Fall
Ich habe die ersten beiden Folgen im Auto gehört, daher s.o., ich habe nicht mitgeschrieben.
Im Zentrum der ersten Folge steht das Oktoberfest 2019, bei dem Kasia Lenhardt, in einer On/Off-Beziehung mit Jerome Boateng, eine andere Frau trifft, die auch erzählt, dass sie gerade mit dem Fußballer liiert sei. Die beiden beschließen vorgeblich, ihn in einem Hotelzimmer zu konfrontieren. Danach nimmt KL via Insta Kontakt zu Sherin S. auf, ehemalige Lebensgefährtin, Mutter seiner beiden Töchter. Ihr berichtet sie davon, wie es zu körperlichen Attacken von JB auf sie gekommen sei, sie postet wohl auch Bilder.
Der gesamte Podcast beruht vor allem auf den Kontendaten von KL, sei es Whatsapp-Nachrichten (Text und Audio) oder anderer Social Media Accounts.
Die beiden Frauen scheinen sich einig: JB wendet (häusliche) Gewalt an, kann sich nur schwer beherrschen und verletzt seine Gefährtinnen.
Mit ein bisschen Geschichte drumherum, wobei mir die Biografien der beiden Hauptpersonen nicht wirklich ganz klar werden, aber das ist nicht sooo wichtig.
Formal finde ich es sehr anstrengend, zwischen den Stimmen der Podcasterinnen und den einzelnen Whatsapp-Audios zu unterscheiden, da die beiden auch aus der Journalisten-„Ich“-Perspektive erzählen und natürlich KL von „ich“ spricht. In bin häufiger kurz irritiert.
Am Ende von Folge 1 steht das Fazit: da gab es Gewalt nach dem Oktoberfest-Treffen, Doch Silvester 2019 sind Boateng und Lenhardt gemeinsam in Dubai.
Es folgt Folge 2.
Und hier kommt für mich wie Kai aus der Kiste: KL nimmt im November 2019 weiter Kontakt zu Shirin S. auf und vermeldet: übrigens, was ich Dir zum Oktoberfest und Schlägen und Verletzungen geschrieben habe, das stimmte nicht. Die Blauen Flecken habe ich mir selbst zugefügt, das war erfunden.
Da geht dann der Podcast aber schnell drüber hinweg. Und ich frage mich, ernsthaft: hätte diese Info denn nicht direkt in Folge 1 kommen müssen, zur Einordnung? Es werden immer JB’s Anwälte zitiert, die Wert auf die Feststellung legen, dass es keine Gewalt gegeben habe, aber diese Aussage kommt dann einfach so in der nächsten Folge – ohne die Gewissheit, dass jede/r Hörer:in von Folge 1 auch die Fortsetzung wahrnimmt? Ich finde das – mehr als grenzwertig.
In Folge 2 geht es um ein Zusammentreffen von Lenhardt und Boateng in Berlin, Ende Januar 2022.
Hier kommt dann eine rhetorische Figur zum Einsatz, die mich hier und an anderen Stellen sehr verstört: journalistisch sauber wird gesagt „Wir wissen nicht (was genau passiert ist etc.)“ Es folgt dann ein „Aber“. Und dann wir auch mal fabuliert „Aber: Forschung zeigt bei Gewalt in Beziehungen dass …“ – Die vorher klar als Unklar markierte Stelle wird in einen Kontext gestellt, der mehr als nur unterstellt und insinuiert, dass die Journalistinnen doch wissen, was passiert ist.
Insgesamt gilt: Boateng hat in diesem Podcast keine Chance. Es laufen noch Strafverfahren gegen ihn, man kann verstehen, dass er sich nicht äußert. Das wird fast schon gegen ihn verwendet.
Der Podcast surft scharf auf der Kante der Verdachtsberichterstattung. Ist für mich streckenweise drüber, aber das ist ein Gesamteindruck, der nicht juristisch stichfest ist, und die Formulierungen sind juristisch, nach meinem Eindruck, sauber. Da wird viel mit „möglicherweise“ und „offenbar“ gearbeitet.
Maike Backhaus und Nora Gantenbrink machen da ihren Job. Folgen ihrer Haltung. Mich irritiert der Mangel an Männern im redaktionellen Team – ist das jetzt nicht wieder so ein „Frauen“-Ding? Und ich sage mal so: ein im wörtlichen Sinne „Advocatus Diaboli“ als Korrektiv hätte dem Ganzen auch gut getan. Irgendjemand der im Produktionsprozess nicht nur darauf achtet, juristisch unangreifbar zu sein. Sondern auch die Frage stellt: was, wenn Boateng sich hier wirklich nicht an jeder Stelle etwas zu schulden hat kommen lassen?
Illustration: KI/Midjourney (grumpy old man listening to a podcast)