Über Jahre, ach was, fast Jahrzehnte begleitete mich die Abzocke mit kostenpflichtigen, so genannten „Mehrwertdienste“-Rufnummern in meiner journalistischen Karriere. Dubiose „Auskunftsdienste“, Dialer, 0190er-Fakes, WAP-Billing – die Liste der Beiträge, die ich dazu gemacht habe, ist ewig lang, und eigentlich war es immer dasselbe: skrupellose Abzocker betrügen Menschen, die Telefongesellschaften kassieren eifrig ab und verdienen so auch daran, und Rechtssprechung, Gesetzgeber und Regulierungsbehörde hecheln halbherzig motiviert hinterher. Wird eine „Lücke“ geschlossen, tun sich andere auf, und was früher „Regulierungsbehörde“ hieß und dann „Bundesnetzagentur“ wurde ist so ein bisschen hintendran.

Einer dieser Beiträge stammte aus 2011

Wir haben jetzt 2017. Erst jetzt entscheidet der BGH: Eltern müssen solche Rechnungen nicht tragen.

Der Junge wählte diesen Weg, rief die Nummer des Bezahldienstes an und kaufte über Codes des Spieleanbieters in 21 Telefonaten für 1250 Euro weitere Ausrüstung für seinen Kämpfer. Der BGH entschied nun im Gegensatz zu den Vorinstanzen, dass die Mutter für die Kosten nicht aufkommen muss.

Das Gericht verwies darauf, dass die Freischaltung der Zusatzausrüstung nicht unmittelbar im Spiel, sondern über die Freischaltung durch den Dienstanbieter erfolgt sei. Deswegen gelte eine gesetzliche Sonderregel im Telekommunikationsgesetz, wonach Telefonanschlussinhaber nicht haften, wenn ihnen „die Inanspruchnahme von Leistungen des Anbieters nicht zugerechnet“ werden kann.

Das hat lange gedauert, und die Begründung ist natürlich durch die Brust ins Auge. Aber immerhin raffiniert. Und schon 2011 stellte sich ja die Frage, warum ein Online-Spiel einen solchen Zahlungsweg anbietet, wenn es doch in großer Zahl Online-Zahlungsmethoden gibt. Natürlich nur, damit Kids ohne Zugriff auf Kreditkarte oder Paypal auch löhnen können.

So schön das Urteil sein mag: meinen Betroffenen von damals wird es nicht viel geholfen haben. Oder sie haben sich früh verglichen – im Grundsatz wundert es mich ein wenig, dass die Sache bis zum BGH ging, denn höchstrichterliche Rechtsprechnung haben die Anbieter bisher vermieden wo es nur ging – und sei es durch die Rücknahme von Klagen, außergerichtlichen Einigungen etc. Genau wie den Banken ging es häufig darum, gerade ein BGH-Urteil zu verhindern. 

Aber es gibt immer noch offene Baustellen. Eine davon ist das in der Sache vollkommen unnötige WAP-Billing über Mobiltelefonrechnungen.

Mit scheinbar kostenlosen Angeboten werden Mobilfunknutzer auf spezielle Internetseiten geloggt. Kreative Anbieter versprechen Hausaufgabenhilfe, Klingeltöne, Spiele, Erotik-Flatrates oder die Ortung beliebiger Handys. Nutzt der Anbieter das sogenannte WAP-Billing, so genügt ein Klick auf einen Button für den Kauf des Abos. Bei unseriösen Angeboten wird oft der genaue Preis verschwiegen oder im Kleingedruckten versteckt. In besonders dreisten Fällen genügt das Anklicken eines Werbebanners. Vielfach gibt es keine oder eine verhältnismäßig wertlose Gegenleistung.

Es hilft nur ein Opt-out, die so genannte Drittanbietersperre beim Telefon-Anbieter (der oben verlinkte Artikel verrät, wie das geht, hier die Verbraucherzentrale mit Musterbriefen, auch wenn solche Dienste abgerechnet werden.).

Das ist eigentlich lächerlich. Es müsste ein verpflichtendes Opt-In geben, wenn jemand tatsächlich WAP-Billing bewusst nutzen will. Aber auch hier: Gesetzgeber pennt, Regulierung versagt, Abzocker und Telefongesellschaften kassieren. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage schreibt die Bundesregierung:

Die Abrechnung von Drittanbieterleistungen über die Telefonrechnung stellt aus Sicht der Bundesregierung ein grundsätzlich zu begrüßendes, da unkompliziertes Geschäftsmodell des mobilen Bezahlens dar und wird für zahlreiche von Verbraucherinnen und Verbrauchern gewünschte Dienste (u. a. Tickets im ÖPNV) verwendet

Stimmt, der RMV etwa bietet diese Zahlung an.

Die Bundesregierung schreibt aber auch:

An die Bundesnetzagentur werden immer wieder Beschwerden herangetragen, in denen sich Verbraucher über Positionen in ihren Mobilfunkrechnungen beschweren, deren Ursache sie sich nicht erklären können. Die Anzahl der Beschwerden ist in solchen Fällen im Vergleich zu anderen Missbrauchskonstellationen verhältnismäßig gering. (..) Seitens der Bundesnetzagentur muss jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Seriöse Schätzungen der Anzahl der Fälle, in denen sich Betroffene nicht an die Bundesnetzagentur gewandt haben, sind nicht möglich. Eine hohe Dunkelziffer legen auch die Ergebnisse einer Onlinebefragung durch das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov nahe, die im August 2016 mit 2 000 repräsentativ ausgewählten Personen im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz durchgeführt wurde. 13 Prozent der befragten Mobilfunknutzer haben angegeben, vom Mobilfunkanbieter in Rechnung gestellte Leistungen von Drittanbietern nicht bestellt zu haben. Die Mobilfunknutzer waren hiervon nach eigenen Angaben zu 38 Prozent einmal, zu 34 Prozent zweimal, zu 18 Prozent dreimal und zu 6 Prozent viermal oder öfter betroffen

Das bedeutet: nur wer sich bei der BNetzA meldet, der ermöglich politischen Druck.

Es wird wieder Jahre dauern, bis hier der Stall ausgemistet ist. Und die Anbieter verdienen.

Die Verbraucherschützer schreiben dazu:

Die häufigsten Beschwerden zu Telekommunikationsanbietern betreffen das Thema Drittanbieterforderungen. „Durch unser Frühwarnnetzwerk sind uns in den letzten sechs Monaten mehrere hundert bekannt geworden. Der Anteil an Beschwerden zu mobilcom-debitel ist dabei geradezu alarmierend hoch. Werden die vier großen Mobilfunkprovider betrachtet, entfielen im vergangenen Mai und Juni allein auf mobilcom-debitel über 40 Prozent der Beschwerden“, so Tom Janneck, Teamleiter des Marktwächters Digitale Welt in der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.

Also: Uffbasse.