Mimikama, Faktenfinder, Volksverpetzer: Es gibt viel Bedarf für Faktencheck-Plattformen. Im Idealfall schauen sie nach Meldungen, die in sozialen Netzen viral gehen und unterziehen sie einem, nun ja, Faktencheck. Das ist besondes für diejenigen wichtig, die im eigenen Bekannten- und Freundeskreis mit Falschbehauptungen oder zumindest missverständlichen Nachrichten konfrontiert werden und darüber in Kommunikation eintreten wollen. Auch andere Nachrichtenseiten helfen, je nach Fachgebiet, im Kampf gegen falsche Nachrichten. Ich weiß das alles sehr zu schätzen.
Manchmal mag der ein oder die andere Faktenfinder:in aber auch mal gerne eigene „Nachrichten“ machen. So Marcello Orlik am 28.12.19 – ja, 2019.
Dieser Beitrag wurde auch 2020, im Zuge des tatsächlich stattfindenden Böllerverkaufsverbots und Böllervebortes in vielen Kommunen wieder geteilt – auch vom Autor selbst:
Es geht jetzt mal weniger um das Böllerverbot als um ein journalistisches Problem: was tun, wenn sich Fakten ändern? (Grundsätzlich fände ich es aber toller, wenn ein Stück, das als „Pro und Contra“ angekündigt wird tatsächlich ernsthaft versucht, beide Seiten darzustellen. Das ist aber, nach meiner Beobachtung, eh die Ausnahme)
Hier ist der Absatz, um den es geht, man beachte die journalistisch neutrale, von der BILD bekannte Wertung „Irrsinn“ als Kategorie.
Quelle 1 ist ein Artikel vom 29.7.2019, die Deutsche Umwelthilfe fordert Böllerverbot
Innerhalb weniger Stunden setzten die Feuerwerkskörper zum Jahreswechsel etwa 5000 Tonnen besonders giftigen Feinstaubs frei. Die Menge des zu Silvester freigesetzten Feinstaubs entspreche etwa 16 Prozent der jährlich im Straßenverkehr entstehenden Feinstaubmenge, sagte Resch.
ebd.
Anmerkung 1: im Volksverpetzer-Artikel wird daraus ein „zweistelliger Prozentualer Anteil unserer Feinstaubbelastung“ – auch wenn selbst die DUH hier „nur“ den Straßenverkehr heranzieht – um eine große Zahl zu bekommen.
Quelle 2 ist kaputt:
Anmerkung 2: Und dafür gibt es einen Grund. Nämlich eine neue Berechnung des Umwelt Bundesamtes, Am 27.,11.2020 hat das Amt seine Zahlen aus dem Vorjahr revidiert:
Jährlich werden rund 2.050 Tonnen Feinstaub (PM10) durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern frei gesetzt, der größte Teil davon in der Silvesternacht. Diese Menge entspricht in etwa einem Prozent der gesamt freigesetzten Feinstaubmenge in Deutschland.
ebd.
In der Pressemitteilung dazu wird nochmal erklärt:
Bislang war man davon ausgegangen, dass 4.500 Tonnen Feinstaubausstoß durch das Feuerwerk für die schlechte Luft verantwortlich sind. Neue Berechnungen zeigen nun: Es sind knapp halb so viel, nämlich pro Jahr rund 2.050 Tonnen Feinstaub, die die hohen Belastungen durch den Abbrand von Feuerwerkskörpern auslösen. Damit macht Feuerwerk knapp ein Prozent der jährlichen PM10-Gesamtemission sowie knapp zwei Prozent der jährlichen PM2,5-Gesamtemission aus. Die neue Menge wurde anhand experimentell ermittelter Emissionsfaktoren berechnet, die gegenüber den bislang verwendeten Daten realitätsnähere Werte des Feinstaubausstoßes liefern. Die Änderung der Methodik geht auf einen fachlichen Austausch des UBA mit dem Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) zurück.
https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/2050-tonnen-feinstaub-durch-feuerwerk-pro-jahr
Über das „knapp halb soviel“ würde man streiten können, am Ende bleibt vom „zweistelligen Prozentwert“ des Volksverpetzer-Artikels nichts mehr übrig.
Es geht hier nicht um das Böllern. Es geht um das Problem, das Journalisten und Faktenfinder haben: wie gehen wir mit neuen Zahlen, Daten, Fakten um? Wie können wir klarer machen, dass all unser Wissen eine Momentaufnahme ist? Wie können wir auch auf dieser Seite zur Versachlichung beitragen?
Wir sehen das auch anhand der Debatte über den eher mäßigen Erkenntnisstand zur Corona vor rund einem Jahr, ein Themenfeld, in dem sich täglich Neues getan hat.
Unrealistisch ist es, jeden Artikel, jeden Beitrag „automatisch“ aktuell zu halten. Ich bin selbst ratlos, würde aber tendenziell bei älteren Artikeln den Hinweis, dass diese etwa x Monate alt sind, prominenter platziert sehen wollen.
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