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Laut Rivva geht diese Kolumne gerade durch die Decke:

rivva.de / Screenshot v. 3.9.2017

„Was uns ehrliche Politiker sagen müssten“ ist die aktuelle Kolumne von Sibylle Berg. Ich schätze ihren Stil nicht besonders, da sie in ihren Texten besonders gerne ein „Wir“ konstruiert, wo keines ist, denn häufig meint sie ein „Ihr“ und erhebt sich über das Wir-Konstrukt. Auch im vorliegenden Test versucht sie, mit „uns“ eine Gemeinsamkeit zu konstruieren, die nicht wirklich existiert.

Es ist schon unangenehm, zu verstehen, dass wir alle zusammen auf einem Planeten sitzen.

Sie meint natürlich: für Euch ist das so, für mich, Eurer Intellektuellen ist das natürlich anders, denn ich verstehe das ja.

Es folgt ein Roundup zu den Problemen dieser Welt, immer schön schlaglichtartig, und im Gedankenkonstrukt einer angeblichen Ansprache eines angeblich vorbildlichen Politiker präsentiert Berg ihre Lösung für all diese Probleme:

Wir müssen enger mit dem Rest der Welt zusammenarbeiten anstatt uns abzukapseln, wir müssen teilen, verzichten, recyceln. Das ist unattraktiv. Damit gewinnt man keinen Blumentopf, aber es ist der einzige Weg eines Versuchs, die Erde noch ein paar Hundert Jahre länger am Leben zu erhalten.

Das ist ja mal ein Ding. Besonders schön finde ich das „verzichten“. Berg hat schon vorher betont, wo „wir“ alles falsch gemacht haben:

Wir haben Klamotten gekauft, die in Bangladesch von Leuten hergestellt wurden, die schlecht bezahlt in Slums wohnen; wir haben unsere alten Handys in Afrika auf den Müll geschmissen, unsere alten Schiffe dito; wir haben geheizt, als ob es kein Morgen gäbe, hatten einen Zweitwagen und haben nicht gefroren, nicht gehungert. Im Vergleich zum Rest der Welt – nicht schlecht. Sie wissen schon, die Welt, die eine Wohnung ist. Diese Zeiten kommen nicht zurück. Das Klima ist am Arsch, gelinde gesagt.

Im Prinzip meint sie wieder: ihr, nicht ich, ich bin ja der Teil des „Wir“, der das durchschaut.

Also fordert sie mal Verzicht.

Ich finde das angesichts ihres eigenen Lebensstils ein bisschen – fragwürdig. Auf ihrer Webseite heißt es, wunderbar avantgardistisch unter dem Stichwort „Es„:

Seit 1995 lebt sie in Zürich und Tel Aviv und hat die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Da stelle ich mir leichte fliegerische Pendelbewegungen vor, es sei denn, sie verzichtet und legt die Strecke mit dem Fahrrad zurück.

Ist das dieser Lebensstil, mit dem „wir“ die Welt kaputt machen und dieses Klima „am Arsch“ ist, gelinde gesagt?

Die Zwischenüberschrift nochmal:

Wir müssen teilen, verzichten, recyceln

Dick und fett.

Und noch mehr stößt mir der weitere Plan auf, den angeblich verantwortungsbewusste Politiker uns präsentieren sollen:

Wir werden mit Ihnen, aus dem Volk per Los ermittelten Frauen, Männern jeden Alters und Wissenschaftlern, zusammensitzen, um einen Ausweg aus dem Mist zu suchen.

Ich finde das mit dem Losen und Elementen von Stochastokratie nicht ganz uncharmant, aber mit den „Wissenschaftlern“ kommt das Element der „Herrschaft der Weisen“ wieder zum Tragen, immer dann, wenn Situationen unübersichtlich werden und Demokratie so langsam und mühevoll ist, dann blüht wieder die Illusion, eine Herrschaft der Fachleute und Experten könnte einen da rausholen. Dass Wissenschaft „apolitisch“ und damit grundsätzlich kompetenter ist, das scheint mir aber doch ein bisschen eine Überforderung. Und de facto beraten Wissenschaftler ja schon heute umfassend Politik. Die Frage ist ja nur manchmal, ob es die richtigen sind.

[Hier das Beispiel des Sachverständigenrats der Bundesregierung, der einen der ihren als „unprofessionell“ kritisiert, nur weil er es gewagt hat, mal nach der Rolle von Staaten bei der Lenkung der Wirtschaft und seine Bedeutung zu Innovationen zu hinterfragen. „Mehr Zentralismus wagen“ war der provozierende Titel, die Antwort der anderen lautete „Laien verwechselten häufig die Liebe von Ökonomen zum Markt mit einer Liebe zu einzelnen Marktakteuren“. „Liebe zum Markt“? Ist das wissenschaftlich? Liebe macht ja bekanntlich eher blind. Mir graut vor diesen Wissenschaftlern.]

Woher dann also die „richtigen“ Wissenschaftler bekommen, und wie können ausgeloste Laien in die Lage versetzt werden, mit Berufspolitikern, Berufsbürokraten und Berufswissenschaftlern zurecht zu kommen?

Frau Berg endet die rhetorische Ansprache der Politiker, die sie gerne hätte, die aber in Wirklichkeit ja nur ihre eigene Ansprache ist, mit:

Gehen Sie wählen und wählen Sie jene, die unbequem sind und sparen wollen, die Autos verdammen und Ihnen keinen Mist versprechen.

Juhu. Probleme gelöst. Auto verdammt. Wahrscheinlich hat Frau Berg keinen Zweit-, vielleicht noch nicht mal einen Erstwagen, und wenn sie unterwegs ist, dann halt mit dem Flieger zwischen Tel Aviv und Zürich und mit dem Taxi. Da kann man Autos mal verdammen, und mit ihnen alle, die darauf angewiesen sind. Ist das jetzt schrecklich unfair von mir? Auf der einen Seite ja, ich kenne die Frau ja nicht persönlich. Auf der anderen Seite nein: Intellektuelle, die sich als solche gebärden und vom gemeinen Volk Verzicht fordern, genießen nicht meine Sympathie.

Warum Frau Berg so oft geteilt wird?

Ich habe nicht die geringste Ahnung.