Niko Härting ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er positioniert sich vor allem im Netz als Gegner von Einschränkungen der Wirtschaft durch Corona-Maßnahmen, etwa Schließungen von Restaurants, Clubs und Kneipen. Das ist legitim. Er fordert bessere juristische Begründungen und deren Überprüfbarkeit durch Gerichte von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz. Das sehe ich auch so.
Ansonsten retweetet er vor allem „Alternative Virologen“, Merkel-kritisches der WELT, häufig halbgare Kritik an Lauterbach, Ethikrat, Politik. Das vermischt sich dann sehr mit den Bereichen, in denen ich ihm Kompetenz zuschreibe, und ja, ich habe ihn auch schon re-tweetet, etwa wenn er darauf verweist, dass mitnichten der „Datenschutz“ an allem Schuld sei.
Bei Twitter rüstet er dann manchmal rhetorisch auf, das liegt in der Natur des Mediums. Geht jedem/r so.
Und es ist wichtig, diese Mechanismen mal gut im Auge und im Hinterkopf zu haben. So äußerte er sich etwa sehr scharf zur Begründung, die langen Verhandlungen der EU mit den Impfstofflieferanten hätten aufgrund der Haftungsfrage, die die EU nicht alleine tragen wollte, die Impfstoffbestellung verzögert. Der veröffentlichte Astra-Zeneca-Vertrag gibt da etwas Aufschluss:
Härting dazu auf Twitter:
Ich verweise auf
In meinem Anwaltsleben habe ich schon so manchen Haftungsausschluss gesehen. Umfassender als geschehen hätte man #AstraZeneca nicht von jedweder Haftung für Impfschäden freizeichnen können.
Tweet v. 1.2.21 21:57
Das klingt knackig, zitierbar, wirklich gut. Und von einem Experten. Ist das nicht super? Das mit der Haftung: fauler Zauber? Hier mal die Fortsetzung der Klausel 14 im veröffentlichten Dokument:
Auch eine Kollegin von n-tv fand diese Tweets wohl hilfreich, Hinweis darauf, dass das „Impfversagen“ der EU nun mit Scheinargumenten gefüttert wird … Also führte sie ein Interview mit Härting. Seine Einschätzung hier:
Niko Härting: In den Klauseln 14 und 15 geht es ausschließlich um die Haftung von Astrazeneca. Die Klausel 15 betrifft den Fall, dass der EU oder den EU-Mitgliedsstaaten ein Schaden entsteht. In 15.1 des Vertrages heißt es, der Pharmakonzern haftet für keine Schäden, die sich aus Sicherheits- und Wirksamkeitsmängeln des Impfstoffs ergeben. Immer unter der Voraussetzung, dass sich der Hersteller an die Zulassungsvoraussetzungen der EU hält. Die geschwärzten Stellen könnten natürlich Ausnahmen enthalten. Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass etwas geschwärzt ist, das Astrazeneca in die Haftung bringt.
https://www.n-tv.de/politik/Die-Hersteller-sitzen-am-laengeren-Hebel-article22335844.html
Klingt das jetzt – etwas weniger heftig? Oh ja. Und es bedeutet, dass man sich umfassendere Freistellungen, nämlich auch für den Fall von grober Fahrlässigkeit, Vorsatz oder Verstoß gegen Zulassungsbestimmungen vorstellen kann. In der Sache bleibt es dabei, dass es wohl keineswegs an der Haftungsfrage gelegen haben kann, dass Verträge zu spät zu Stande kamen, von einer sagenhaft unendlich fahrlässigen Freistellung kann aber auch keine Rede sein.
Das ist – ein kleines Beispiel. In Sozialen Netzwerken wird zugespitzt, übertrieben, grob gekeilt. Verständige Nutzer müssen nachfragen, recherchieren, mehrere Meinungen einholen. Nur dann kann die Pandemie bewältigt werden, ohne dass unser politisches System weiter Schaden nimmt.
Dieser Verantwortung sollten sich gerade Juristen bewusst sein.
Aber – ich bin skeptisch.
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