Schönes Neues Jahr. Es ist wie ein neues Labyrinth zu betreten – es wird richtige Wege, Sackgassen, Freude und Frustration geben. Ein Neues Jahr nunmal.
Das Ende von gar nichts
Weiter wird sicher auch im neuen Jahr Ulrike Hermann gern gesehene Gästin in Medien sein, die sich Wirtschaft nur mit der Kneifzange nähern und deren RedakteurInnen irgendwie von einem besseren, linken Leben träumen. Oder auf der Suche nach der möglichst radikalen These, dem Aufreger sind. „Das Ende des Kapitalismus“ klingt da nach Medienlogiken einfach zu verlockend, um das links (haha) liegen zu lassen.
Ich schaffe es immer noch nicht, intensiver auf einzelne Artikel einzugehen, aber zum Glück machen das ja andere. Hier eine Linksammlung:
Peter Bofinger zeigt Gegenbeispiele zur Grundthese der Systemkritik der Degrowth-Propagandisten, nachdem Kapitalismus nur mit (am besten ungehemmtem) Wachstum möglich sei:
Für eine generelle Kapitalismuskritik ist Deutschland ohnehin kein gutes Beispiel. Im Vergleich zum Einkommen ist der Konsum relativ gering. Seit 2000 ist die Wirtschaft im Durchschnitt nur um ein Prozent pro Jahr gewachsen. Japan mit einer Zuwachsrate von nur einem halben Prozent zeigt, dass der Kapitalismus auch ohne Wachstum funktionieren kann. Umgekehrt ist das chinesische Hybridsystem aus Plan und Markt am stärksten auf Wachstum fixiert ist.
https://app.handelsblatt.com/meinung/homo-oeconomicus/gastkommentar-homo-oeconomicus-eine-gruene-ddr-ist-nicht-die-loesung-der-kapitalismus-ist-nicht-am-ende/28899668.html?utm_source=pocket_saves
Sehr viel allgemeiner Otmar Issing zu Intellektuellen und Wirtschaft:
Neben diesen zyklischen Wellen begleitet den Kapitalismus die konstante, sozusagen „treue“ Gegnerschaft vieler Intellektueller. Ihre Einstellung macht im Allgemeinen keinen Unterschied zwischen den beklagenswerten Zuständen im ungezügelten Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts und den modernen marktwirtschaftlichen Systemen, in denen der Staat eine wesentliche Rolle spielt, mit Interventionen aller Art das Wirtschaftsgeschehen korrigiert und lenkt und das soziale Netz immer weiter ausspannt.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kapitalismusdebatte-die-intellektuellen-veraechter-der-marktwirtschaft-18553435.html?GEPC=s3&premium=0xea4f3635d13604a7734984f13000ac82&s=09&utm_source=pocket_saves
Besonders ausgefeilt ist die Kritik von Christian Stöcker bei Spiegel Online, der vor allem die sehr ausgewählte Quellenlage bei Hermann kritisiert, die viele Entwicklungen aus- und wegblendet und stattdessen lieber apologetisch die Unmöglichkeit grüner Transformation ausschließt:
Herrmanns Hypothese fußt auf einer im Buch immer wieder wiederholten Behauptung: »Wenn die grüne Energie reichen soll, reicht nur ›grünes Schrumpfen‹.« Es werde immer zu wenig erneuerbaren Strom geben, da ist sich Herrmann sicher.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/buecher-von-ulrike-hermann-und-william-macaskill-zwei-spektakulaere-visionen-beide-falsch-kolumne-a-5bd92187-4f15-4409-a43b-815a4162e9ca
Das Buch ist aufwendig recherchiert, viel ist gut erklärt und mit Quellenverweisen belegt. Leider – oder besser: zum Glück – trifft das gerade auf die Kapitel nicht zu, auf denen die zentrale Behauptung basiert: Der grüne Strom wird niemals reichen. Herrmanns Begründungen dazu sind voller Konjunktive, kaum belegter Behauptungen, verwirrender Argumente und gezielter Auslassungen.
Ein Zwischenüberschrift lautet: Das stimmt einfach nicht. Aus GRünden.
Kernfusion
Der mit Abstand beste Artikel zu den Perspektiven der Kernfusion findet sich bei spektrum.de. Er hat mich etwas weniger skeptisch werden lassen, aber Kernfusion wird nicht das Klima retten – aber vielleicht das Ende für Onshore-Windanlagen bedeuten – wenn Industrie und Verbraucher dafür einen höheren Preis zu zahlen bereit sind, denn preisgünstiger als die Erneuerbaren zu sein: das wird schwierig.
Für 1,99 Euro gibt es bei riffrreporter einen wirklich guten Artikel dazu:
Liefert Kernfusion in Deutschland in 10 Jahren Strom? Die Forschungsministerin glaubt daran – Bisher spielte die Kernfusion in der Energiepolitik keine Rolle – sie galt als Zukunftsmusik nach 2050. Doch Forschungsministerin Stark-Watzinger setzt auf Fusionsstrom in den 2030ern. Vom internationalen Großprojekt „Iter“ kann er nicht kommen. Aber von Start-ups?
https://www.riffreporter.de/de/technik/energie-kernfusion-in-zehn-jahren-strom-stark-watzinger-startups-iter-focused-energy
Das Böse
Postmoderne hieß, dass des „Das Böse“ gar nicht gebe, es banal sei, davon zu reden, dass vielmehr Motive, Interessen, materielle Bedingungen für Gewalt, Aggression, Krieg verantwortlich seien. „Das Böse“ wurde zu Esoterik oder bestenfalls historischem Fakt. Aber vielleicht lassen sich Zerstörungswut und Tötungsexzesse auch im 21. Jahrhundert nicht einfach wegdefinierten (schwarz = weiß und Zebrastreifen).
Ein säkulares Verständnis des Bösen, das nicht aus metaphysischen oder ideologischen Setzungen, sondern aus der Erfahrung mit ihm abgeleitet ist, hat der 2015 verstorbene französische Philosoph André Glucksmann zu definieren versucht: „Man kann sich eine Idee des Bösen bilden, weil das Böse Realität ist“, formulierte er in einem Interview lakonisch. Das Böse sei keine theologische, sondern „eine menschliche Kategorie, eine medizinische Kategorie, wenn Sie so wollen: Jeder weiß, was Krankheit ist, aber keiner kann definieren, was perfekte Gesundheit ist.“ In anderen Worten: Wir können nicht wissen, was das absolute Gute ist, wohl aber, was das absolute Böse ist. Wir wissen es, wenn es sein mörderisches Gesicht zeigt.
https://internationalepolitik.de/de/die-praesenz-des-boesen?utm_source=pocket_reader