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Es ist eigentlich unmöglich, als Medienrezipient am „Veganuary“, dem der veganen Ernährung gewidmeten Monat vorbeizukommen. Und zwar das ganze Jahr über. Alle Social Media-Kanäle, zumindest einer gewissen Privinienz, erklären das ganze Jahr über, wie viel besser, klimafreundlicher, moralischer eine vergane, aber mindestens vegetarische Ernährung so ist.

Und weil das so ist, stößt der „Ernährungsreport“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf größtmögliche Aufmerksamkeit. Die sensationelle Meldung – und wenn man noch Klickservice anhängen kann: warum nicht:

https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/ernaehrungsreport-zahl-der-vegetarier-hat-sich-verdoppelt-drei-veggie-rezepte-zum-nachkochen_id_13316932.html

Okay, die Meldung ist vom Mai 2021, aber kein Grund, das nicht im Januar 2022 wieder hervorzukramen

Um deutlich zu machen, wie erfolgreich der Veganuary ist zitiert die taz:

„Letztes Jahr nahmen weltweit mehr als 582.000 Menschen teil“, sagt Veganuary-Geschäftsführerin Ria Rehberg. „Wir sehen uns bestätigt darin, dass die Zeit reif ist für ein Umdenken: weg von Tierprodukten und hin zu pflanzlichen Alternativen.“

https://taz.de/Pflanzliche-Ernaehrung-ausprobieren/!5825825/

Ob mich das beeindrucken soll, das weiß ich nicht, klingt so. Beeindrucken soll mich das hier:

Laut Ernährungsreport des Landwirtschaftsministeriums essen 2 Prozent der Deutschen vegan – bei der letzten Befragung vor einem Jahr war es noch 1 Prozent. Auch die Zahl der Vegetarier hat sich verdoppelt – von 5 auf 10 Prozent. Somit haben rund 10 Millionen Bundesbürger Fleisch oder sogar sämtliche tierische Produkte von ihrem Speiseplan verbannt. Peta führt den massiven Anstieg auf die Coronakrise zurück: Die Gesellschaft erkenne zunehmend, dass die tierausbeutende Industrie eng mit der Entstehung und Ausbreitung gefährlicher Krankheitserreger wie dem Coronavirus zusammenhängt, so die Tierschutzorganisation.

ebd.

Wie Peta zu der Corona-Schlussfolgerung kommt, das bleibt im Trüben. Aber: Hurra, Doppelt.

Einschub: der Artikel gehört zu den taz-Themenseiten, dem redaktionell anscheinend aber dann doch nicht verantworteten aber den Eindruck eines taz-Artikels erweckenden Beiwerks zum Werbeblock.

ebd.

Zahlensalat

Mich hat die „Verdoppelung“ sehr irritiert, Was vor allem daran lag, dass ich einen Prozentsatz von ca. 8 Prozent Vegetarisch, 1-2 Prozent vegan schon länger, auch vor der Pandemie, abgespeichert hatte. Eine Quelle etwa die Allensbacher AWA. Hier kommt die Gruppe der, „Vegetarier oder Leute, die weitgehend auf Fleisch verzichten“ auf 10,6 Prozent – dank der erweiterten Frage. Quelle: https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/AWA/AWA_2021/Codebuchausschnitte/AWA2021_Essen_und_Trinken.pdf Seite 3, Position 2.46

2018 waren es wohl 9 Prozent. Auf der Facebook-Seite von Quarks setzte man, nicht zu unrecht, diese Umfragedaten mit dem Fleischverzehr ins Verhältnis, und kam 2020 zu diesem treuherzig doofen Schluss:

Facebook Quarks

Warum also sage ich: Study from hell?

2020 gab es weitere Umfragen, die den Vegetarier-Anteil zum Teil deutlich über 5 Prozent zeigen:

Mehr als jeder zweite Befragte (53 %) verzichten zumindest manchmal bewusst auf Fleischprodukte. Flexibilität ist für viele der Befragten ausschlaggebend und so würden sich 44 % als flexitarisch bezeichnen, während sich 8 % vegetarisch ernähren und etwas mehr als 1 % vegan leben.

https://www.lifepr.de/inaktiv/initiative-veganfreundlich/Neueste-Umfrage-zu-vegan-oder-vegetarisch-lebenden-Personen-2021/boxid/833044

Wie auch immer. Doppelt klingt besser.

Wie immer geht es darum, die Quelle heranzuziehen. Es ist eine Forsa-Umfrage mit 1.000 Teilnehmer:innen. Ergebnisseite hier. Und der ganze Bericht hier. Ach nein, hier ist der Forsa-Report, ohne bunte Bilder. (Immer dasselbe)

Die Erhebung wurde vom 14. Januar bis 12. Februar 2021 mit Hilfe computergestützter Telefoninterviews (CATI) durchgeführt. Die Ergebnisse können mit den bei allen
Stichprobenerhebungen üblichen Fehlertoleranzen (im vorliegenden Falle von +/- 3
Prozentpunkten) auf die Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland übertragen werden.

ebd, S.3

Das bedeutet: der tatsächliche Wert liegt irgendwo zwischen 7 und 13 Prozent. Und in der Voruntersuchung, bei gleichem Studiendesign, zwischen zwei und acht Prozent.

Acht Prozent? Kommt einem das nicht bekannt vor?

Für mich gilt, bei Beobachtung der vielen Umfragen: wir haben eine ansteigende Tendez, dass sich Menschen als Vegetarier oder Veganer bezeichnen, und zwar nachhaltig seit Jahren. Kann einem das nicht genug sein?

(Gerade drüber gestolpert: der Konsummonitor Nachhaltigkeit des Handelsverband Deutschland (S.11): hier geben 6,1, Prozent der Befragten an, sich vegetarisch zu ernähren. Vergan zu leben geben 1,9 Prozent an. Ist schwer, der Befragung nachzugehen, es dürfte sich um die Untersuchung „Nachhaltigkeit in der amazonisierten Welt“ handeln, da wurden 1.500 Personen online befragt.)

Umgang mit Umfragen

Der Presserat sagt zur Veröffentlichung von Umfragen nur:

Bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen teilt die Presse die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung mit. Zugleich muss mitgeteilt werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.

https://www.presserat.de/pressekodex.html Richtline 2.1

Zur journalistischen Sorgfalt sollte aber auch gehören, sich die mögliche Abweichung der Umfrageergebnisse vom Verhalten oder den Einstellungen der repräsentierten Gruppe anzuschauen.

Weil „Verdoppelung“ so super klingt, ist die Neigung das zu tun, anscheinend gering. Von geneigten Journalist:innen ohnehin, die aus welchem Grund auch immer glauben, die Propagierung vegetarischen oder veganen Verhaltens gehöre zum Job.

Ich rede also vom „Konfidenzintervall“ für Umfragen, das sich aus der Größe der Gesamtheit und der Stichprobengröße ergibt. Faszinierend ist, dass schon wenige Tausend Befragte gute Schlüsse auf die Gesamtheit ergeben. Innerhalb von Grenzen, in denen Abweichnungen möglich sind. (Nicht diskutiere ich hier die anderen Probleme der empirischen Sozialforschung, denn die Auswahl der Stichprobe ist bei Weitem nicht trivial!)

Bei Surveymonkey gibt es einen Konfidenzintervallrechner https://www.surveymonkey.de/mp/margin-of-error-calculator/

ebd.

Hier das Beispiel für 80 Mio Menschen Grundgesamtheit und einer Stichprobengröße von 1.000. Das ist eine durchaus übliche Zahl, wenn man eine Kosten/Nutzen-Rechnung für den Aufwand bei der Erhebung berücksichtigt. Natürlich wären 10.000 Befragte exakter, aber das ist natürlich wesentlich teurer.

Besonders kritisch kann man ja sein, wenn interessierte Unternehmen Umfragen veröffentlichen. Das gilt etwa für „Veganz“. Die kommen bei ihrer europaweiten Untersuchung auf 2,2 Prozent Veganer und nur 4,6 Prozent Vegetarier in Deutschland, wobei da die Pescetarier hinzugezählt werden könnten, die nehmen zwar kein Fleisch, wohl aber Fisch zu sich. (3,4 %?)

https://veganz.de/blog/veganz-ernaehrungsstudie-2021/

Dieser Ernährungreport ist für den europäischen Vergleich nur eingeschränkt brauchbar: immerhin 3.094 Teilnehmer:innen aus Deutschland, das klingt ganz gut. Aber In Italien waren es nur 391 Teilnehmer:innen. Die von der Studie genannte Standardabweichung von 0,5 nehme ich daher nicht ernst: in Deutschland dürfte sie bei rund 2 Prozent liegen, in den anderen Ländern höher.

Es wurden 5.311 Menschen aus sechs europäischen Ländern online befragt. Im Kapitel Deutschland wird auch super auf die Gesamtbevölkerung (im Alter von 14-64 Jahren, warum auch immer) hochgerechnet. Immerhin wird die „Methodik“ hinten erklärt:

„Die Teilnehmer wurden teilweise anonym online befragt, und zum ande-
ren über direkte Werbung von Veganz gewonnen. Die Nutzung der Kanäle von Veganz
erbrachte besonders für Deutschland und Österreich deutlich mehr vegane und vege-
tarische Teilnehmer im Vergleich zum letzten Jahr. Durch die größere Stichprobe dieser
Subgruppen ergaben sich somit genauere Schätzungen für die Antworten der Veganer
und Vegetarier dieser beiden Länder. Um die gesamte Stichprobe dennoch repräsentativ
zu gestalten, wurden die Individuen nach der Ernährungsverteilung aus der repräsentati-
ven Facebook Stichprobe gewichtet.“

ebd. S. 19

Vegetarische Ernähung ist auch ein Kampf um Zahlen. Denn es geht nicht zuletzt auch um viel Geld für Unternehmen.

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