Journalisten sind so öko. Und so Anti-Plastik. Folglich ist es ein leichtes für profilierungswillige Poltiker, auch mal in die Schlagzeilen zu kommen, selbst wenn man aus der FDP kommt, die bisher eher weniger durch Umweltbewusstsein aufgefallen ist.
Und so kommt es zu dieser Schlagzeile:
Der Plastikverzicht endet beim Obstbeutel
„Während der Verbrauch von leichten Kunststofftragetaschen im Zeitraum von 2015 bis 2018 signifikant um etwa zwei Drittel zurückging, bewegte sich der Verbrauch sehr leichter Kunststofftragetaschen auf gleichbleibendem Niveau“, schreibt das Bundesumweltministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der FDP, die der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vorliegt.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/der-plastikverzicht-endet-beim-obstbeutel-16220234.html
Im Hintergrund: die Neue Osnabrücker Zeitung bekommt das von einer FDP-Bundestagsabgeordneten geliefert, die, billig, billig, eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hat, und die NOZ bekommt das als Meldung bei der Deutschen Presseagentur unter, und, zack, ohne echte Arbeit wird wieder ein Häkchen bei „zitierte Zeitung“ gemacht für die NOZ, und die FDP-Abgeordnete wird zitiert:
Die umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Judith Skudelny, warf Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) vor, sie drohe mit ihrer „Symbol-Politik zur Reduzierung des Plastikmülls“ zu scheitern. „Ihre Maßnahmen bleiben Stückwerk und sind inkonsequent.“ Plastiktüten würden vom Kunden oft durch Hemdchenbeutel ersetzt.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/der-plastikverzicht-endet-beim-obstbeutel-16220234.html
Zack. Aufregung allerorten. Eine Woche später verkündet Aldi die revolutionäre Maßnahme gegen diesen „Wahnsinn“:
Endlich! Wir haben die Welt schon fast gerettet.
Nun ist das mit den kleinen Beutelchen so eine Sache. Schon als es darum ging, dass real deren Einsatz reduzieren und zu Gunsten von Papiertüten aussortieren will,
Der Schritt von Real ist allerdings nicht unumstritten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) etwa sieht den Schritt von Real durchaus mit gemischten Gefühlen. Der BUND-Experte für technischen Umweltschutz Rolf Buschmann betonte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, zwar seien Papierbeutel, wenn sie in die Umwelt gelangten, deutlich leichter abbaubar als Plastikbeutel. Doch insgesamt sei ihre Ökobilanz, wenn sie nur einmal benutzt würden, schlechter als die der Plastikbeutel. Für die Herstellung der Papiertüten werde mehr Energie und mehr Wasser verbraucht, als für die Produkte aus Plastik.
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/umweltschutz-real-will-plastikbeutel-in-der-obst-und-gemueseabteilung-abschaffen/24040078.html
Ach, wer will schon die harten Fakten oder eine reale Ökobilanz.
Was mir aber aufgefallen ist, was gerne zitiert wird, und jetzt ins Allgemeinwissen übergeht, das ist dieser Satz:
Plastiktüten würden vom Kunden oft durch Hemdchenbeutel ersetzt.
Hand auf Herz: wie viele Menschen sehen wir an der Supermarktkasse, die jetzt ihren Einkauf in die kleinen dünnen Beutelchen verpacken? Ich habe niemanden gesehen. Und praktisch wird das auch schwierig: Gewicht oder scharfe Kanten dürften diese Ausweichbewegung in Grenzen halten.
Doch woher kommt dieser Satz? Er steht nach der wörtlichen Rede von der FDP-Abgeordneten, Ich habe bei Frau Skudelny nachgefragt:
Hallo Frau Skudelny, nur eine kurze Nachfrage zu dem verlinkten Artikel und dem letzten Satz des letzten Absatzes: Die umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Judith Skudelny, warf Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) vor, sie drohe mit ihrer „Symbol-Politik zur Reduzierung des Plastikmülls“ zu scheitern. „Ihre Maßnahmen bleiben Stückwerk und sind inkonsequent.“ Plastiktüten würden vom Kunden oft durch Hemdchenbeutel ersetzt. Den schreibe ich aufgrund der indirekten Rede auch Ihnen zu. Meine Nachfrage nun: was ist die Quelle dieser Aussage? Ist es die Antwort auf die Kleine Anfrage, oder gibt es eine andere Quelle? Besten Dank für Ihre Rückmeldung schon im Voraus, schöne Grüße Michael Scheuch
Hier die Antwort des Teams:
Frau Skudelny bezog sich in ihrem Pressestatement auf die Antwort der Bundesregierung auf ihre Kleine Anfrage (Drucksachennummer: 19/7686) „Nachhaltigkeit von Tragetaschen“, sowie auf die Antwort auf die von ihr gestellte Einzelfrage. Die besagte Einzelfrage finden Sie unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/105/1910535.pdf
Stimmt, da ist die Bundestagsdrucksache mit der Antwort auf die aufwendige Anfrage. Nur steht da
((Man sieht übrigens den Rückgang von 2017 auf 2018…)
Da steht nix davon, dass Plastiktüten durch Hemdchenbeutel ersetzt werden.
Ich frage also nach:
vielen Dank für Ihre schnelle Rückmeldung und das PDF.
Noch einmal konkret: es geht um den Satz
Plastiktüten würden vom Kunden oft durch Hemdchenbeutel ersetzt.
Dazu habe ich in der Antwort auf die Anfrage im Dokument nichts gefudnen.
Ist das eine Aussage von Frau Skudelny?
Wenn ja: Auf welche Daten, welche Quellen stützt sich diese Aussage?
Besten Dank bereits im Voraus für Ihre Rückmeldung,
mit freundlichen Grüßen
Michael Scheuch
Darauf habe ich dann, welch arge Überraschung, keine Antwort bekommen.
Fazit: Schlagzeilen machen ist, toll Nachfragen beantworten doof. Und Journalisten sind auch doof, die einfach so falsche Tatsachenbehauptungen transportieren. Sorgfalt, Skepsis, weniger „Öko-Bewusstsein“, das wünsche ich mir vom Journalismus unserer Zeit.
Das kann man alles übrigens von Rezo und seinem Video lernen: Quellen prüfen und angeben. Nicht einfach nur Pressemitteilungen von Hinterbänklern abpinnen.
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