Erfahrungen von der Integrationsfront

Ist jeder(r), der oder die sich mit den Problemen der Flüchtlingswelle von 2015 auseinandersetzt, automatisch Rechts oder gar Nazi? Sicher nicht. Die Gefahr ist allerdings, wenn man eine Bestandsaufnahme macht, groß, als ebensolche(r) beschimpft zu werden. Lesenswert der Beitrag Ein Kulturschock für beide Seiten aus der taz, in der Gerit Arlom berichtet, unter welchen Umständen er Deutsch als Zweitsprache in so genannten Integrationskursen unterrichtet:

Mehr als 20 Namen stehen auf meiner Liste, um 10 Uhr 30 sind immerhin 13 anwesend. Erfreulicherweise geht niemand nach der zweiten Pause um 12 Uhr wie sonst eigentlich immer. Ich lasse die fehlenden Teilnehmer inzwischen nachträglich ein Entschuldigungsformular ausfüllen, auf dem Gründe angegeben werden müssen. Mit jedem neuen Kurs werde ich strenger. Mehr und mehr finde ich mich in einer Rolle wieder, die ich nie wollte – die einer Erzieherin für erwachsene Menschen.

Der Bericht ist deshalb so wichtig, weil erzeigt, dass wir als Gesellschaft gut daran tun würden, den Menschen zuzuhören, die an der „Integrationsfront“ mit positiver Einstellung und Engagement arbeiten. Wenn diese um Hilfe rufen, dann ist es höchste Zeit. Bevor die Aufgabe unlösbar wird.

Diese Anmerkung in den Kommentaren scheint mir auch authentisch zu sein:

Ja, das mache ich beruflich seit 5 Jahren und kann Ihnen und dem Bericht nur beipflichten. Nur stört das die heile Latte-Macchiato-Welt von Menschen wie „Uranus“ oder dem Taz-Schreiberling Christian Jacob nicht, die ihre interkulturelle Kompetenz höchstwahrscheinlich aus regelmäßigen Besuchen des türkischen Restaurants um die Ecke beziehen. „Toleranz“ wird von Hardlinern als klassische westliche Schwäche ausgelegt. Zu ergänzen wäre dem Bericht von Gerit Arlom noch, dass man als Dozentin Glück haben muss, wenn man einen Träger hat, bei dem man unsere Regeln auch vermitteln darf. Gerade freitags erklären einem manche Teilnehmer frank und frei, dass die nicht erscheinen müssen, bei Nachfrage, seit wann das Freitagsgebet schon morgens um 8 beginne, stammeln sie etwas von Vorbereitung und außerdem sei dies ja Religionsfreiheit. Dies gilt freilich oft auch für die Kinder, die Schulpflicht muss da schon mal nachstehen. Darin werden sie ausgerechnet von linken Dozentinnen unterstützt, die Atheisten sind und in nicht wenigen islamischen Ländern um ihr Leben fürchten müssten. Vermutlich wäre eine Unterrichtsbefreiung am Freitag aber das, was Uranus unter gelungener Integration versteht. Christen und vor Allem Jesiden fassen sich bei uns freilich an den Kopf, aber deren Erfahrungen interessieren uns interessanterweise nicht so sehr.

Spitzer

Dieser Mann beeindruckt immer noch viele Eltern und Journalisten – man mag an der Welt verzweifeln. Und sagen wir mal so: ausgerechnet die Social-Media-Units der ÖR springen auf den Zug auf, weil er nun mal provoziert und daher Reaktionen hervorbringt, und die sind die neue Währung, vollkommen unabhängig ob Relevanz oder Firlefanz. Vernehmt meint tiefes Seufzen.

Vom sensiblen Umgang mit der Zuschreibung „Behindert“ oder dem Respekt vor Reinigungskräften hat der Herr Professor anscheinend noch nie gehört. der DLF freut sich über die Resonanz, die Social-Media-Teams freuen sich über die Resonanz, und es kotzt mich an, dass dieser Artikel von Christian Stöcker mal wieder nötig wird:

Einmal mehr wird hier deutlich, was diverse Spitzer-Kritiker über die Jahre immer wieder gezeigt haben: Man kann diesem Autor einfach nicht trauen. Das ist im Grunde kein Problem. Andere Sachbuchautoren vertreten auch steile Thesen. Spitzer aber spricht immer von der Kanzel des „Wissenschaftlers“, dessen persönliche, mit zurechtgebogener vermeintlicher Evidenz untermauerte Meinung mehr gilt als die aller anderen.

Der „Experte“ ist nunmal der „Experte“, auch wenn seine Thesen mit Wissenschaft nichts zu tun haben – nur mit Verkaufszahlen, und diesem allgemeinen Rumgenöle in der Gesellschaft:

Liest man Spitzers neues Buch genau, wird deutlich, dass er nicht nur ein Problem mit dem Internet oder mit Bildschirmen hat. Er hat, und dieses Empfinden teilt er mit einer offenbar großen Zielgruppe in Deutschland, eher ein Problem mit der Gegenwart an sich. Anfangs zitiert er selbst einige der berühmten „die Jugend von heute“-Lamentos der Geschichte, von Hesiod und Sokrates. Um dann später zu dem Schluss zu kommen, dass die Jugend von heute diesmal aber wirklich gefühllos, selbstbezogen und ein bisschen doof ist. Zeigen Studien. (…)

Viele fühlen sich von der rapiden Veränderung, der die Welt seit den späten Achtzigern unterliegt, überfordert. Viele finden, so wie schon immer, die Jugend von heute gefühllos, zu anspruchsvoll, narzisstisch und ein bisschen doof. Viele haben irgendwie das Gefühl, dass früher doch alles besser war. All diesen Menschen spricht Spitzer mit seinen Büchern aus der Seele, mehr noch: Er gibt ihnen das Gefühl, Recht zu haben: „Das zeigen Studien.“

Da gibt es wenig zu ergänzen.