Das Thema Chapions-League im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, zumindest was die Übertragung kompletter Spiele angeht, ist vorerst zuende. Ob das der Beliebtheit der Spielklasse Abbruch tut (kombiniert mit der Dominanz der immer selben langweiligen Mannschaften), ob die Menschen bei Sky und DAZN „genügend“ Geld lassen werden: Zukunftsmusik.
Für die FAZ ist aber kein Anlass zu merkwürdig, um die Öffentlich-Rechtlichen zu bashen und auch sich qualifiziert über das Thema „Fußball“ zu äußern. So muss Ralph Bollmann mal wieder die Leier von „Kein Gebührengeld für Fußball!“ anstimmen. Dass wir inzwischen von einer Abgabe und keiner Gebühr mehr reden: geschenkt. Seine Empörung gilt einem fiktiven Geschäft, da das ZDF keine Champion-League-Rechte erworben hat, für den Zeitraum 2018-2021, also drei Jahre. Und eigentlich der Tatsache, dass die ÖR-Sender überhaupt Geld für Fußball ausgeben.
Das ideologische Zahlenspielchen beginnt früh:
Was ist daran schlimm? Vor allem eines: dass der Mainzer Sender, der sich aus Gebührengeldern finanziert, überhaupt wieder ein Gebot abgegeben hat, das vermutlich deutlich im dreistelligen Millionenbereich lag. Das ist keine Kleinigkeit. (…) Zum Vergleich: Insgesamt nehmen die öffentlich-rechtlichen Sender rund acht Milliarden Euro im Jahr an Rundfunkbeiträgen ein. Würden sie bei allen Sportereignissen mitbieten, gäben sie den frei verfügbaren Teil ihres Etats fast nur noch für entsprechende Lizenzgebühren aus.
Hätte hätte Fahradkette, mitbieten wäre ja wohl erlaubt, aber beispielsweise die Euro-League kommt seit Jahren ohne deutsche ÖR-Mitbieter aus, die Euro-Qualifier sind bei RTL. Aber zurück zur einfallsreichen Zahlenbehandlung: Da wird ein Gebot im „deutlich dreistelligen Millionenbereich“ mit den jährlichen Einnahmen aus der Rundfunkabgabe zusammengemixt, nur ist der Gebotsbetrag durch drei zu teilen. Selbst Michael Hanfeld aus dem gleichen Stall behauptet nur, dass bisher die CL das ZDF 54 Millionen/Jahr gekostet haben könnte, und dass von 60-70 Millionen die Rede gewesen sein könnte.
Lektion 1: Beim Vergleich von Zahlen unterschiedliche Zeiträume kombinieren, um den gewünschten Eindruck zu erhalten.
Es wird jetzt grundsätzlich in der Zwischenüberschrift:
Nur eine Minderheit interessiert sich für Fußball
Oha!
Sagen wir mal so: wir sind ein Konglomerat von Minderheiten. Nur eine Minderheit interessiert sich für – na, vielleicht, die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das Wetter von gestern. Riester-Rente. Das MCU. Alles Minderheiten. Aber jetzt kommt es:
Fraglich ist zudem, ob sich für Fußball wirklich so viel mehr Menschen interessieren als für Politik oder Kultur. Die verfügbaren Zahlen sprechen eher dagegen. Rund 13 Millionen Karten verkaufen die Bundesliga-Clubs pro Saison für ihre Stadien, mit rückläufigem Trend. Die deutschen Stadt- und Staatstheater setzen hingegen für Oper, Schauspiel und klassisches Konzert mehr als 20 Millionen Tickets ab, Tendenz steigend.
Bämm, nimm das, Deutsche Fußball-Nation. Nimm diese „verfügbaren Zahlen“.
Mein Vertrauen in die Nutzung von Zahlen und Statistiken durch die FAZ hat in diesem Augenblick einen schweren Rückschlag erlitten.
Schauen wir zunächst auf die Besucherzahlen der Fußball Bundesliga. In der abgelaufenen Saison 17/18 zählt transfermarkt.de in der Tat 13.665.094 Zuschauer, 13.6 Millionen. In der Vorsaison waren es 12.707.133, also 12,7 Millionen. Im Jahr davor 13.2 Millionen. Das bedeutet:
- „mit rückläufigem Trend“ ist falsch. Gegenüber der Vorsaison hat der Kartenverkauf zugelegt.
- In der Saison 16/17 waren mit dem SV Darmstadt 98 und dem FC Ingolstadt zwei Vereine mit sehr kleinen Stadien in der 1. Bundesliga. Die vermochten jeweils nur ca. 250.000 bzw. 280.000 Besucher beizusteuern. In der abgelaufenen Saison waren mit Stuttgart (958.000 Zuschauer) und auch Hannover (726.000 Zuschauer) zwei Aufsteiger mit sehr vielen Zuschauern im Spiel. Ob in der kommenden Saison Düsseldorf und Nürnberg es schaffen, den Zuschauerschnitt von Köln und Hamburg zu erreichen – das ist unklar.
- Es ist also vollkommen unsinnig angesichts der sehr unterschiedlichen Stadion-Kapazitäten von Saison zu Saison die Zahlen einfach so miteinander zu vergleichen. Die Auslastung betrug 17/18 91,9 Prozent, im Vorjahr 93,6 Prozent.
Für Ralph Bollmann ist das aber nur Kleinkram. Allerdings jetzt der Merkposten: diese 13,6 Millionen Menschen haben an 306 Spielen aka Veranstaltungen teilgenommen. Wir merken uns: 306.
Jetzt kommt die Zahl für die deutschen Stadt- und Staatstheater mit „mehr als 20 Millionen Tickets“ – „Tendenz steigend.“ Die Zahlen stammen wohl vom Bühnenverein, eine Zusammenfassung hier. Hier das ausführliche PDF. Die Zahlen übrigens, 2017 veröffentlicht, beziehen sich hier auf die Saison 2015/2016.
Die Gesamtbesucherzahlen der öffentlich getragenen Theater und Orchester sind einschließlich der Gastspiele mit rund 21 Millionen Zuschauern stabil geblieben,
2015/16: 21.040.535. Vorsaison: 21.012.812.
Also, ja, Tendenz steigend?
Und sie bezieht sich auf: 815 Spielstätten und 67.257 Veranstaltungen.
Bollmann vergleicht also 306 Spiele der ersten Fußball-Bundesliga ernsthaft im 67.257 Veranstaltungen der Theater.
Lektion 2: Beim Vergleich von Zahlen das gewünschte Ergebnis mit Hilfe der Vergleichssubjekte herstellen.
Schon wenn wir die Besucherzahlen der 2. Bundesliga hinzunehmen (17/18: 5,39 Mio Zuschauer) sieht das Verhältnis nicht mehr so krass aus: 21 Mio „Kultur“-Genießer vs. 13,6+5,39= 18,99 Millionen Fußball-Zuschauer.
Der Leser ahnt wie es weitergeht: es folgen 2,34 Mio Zuschauer in der dritten Liga. Und jetzt haben wir schon Gleichstand: 21 Mio gegen 21,33 Mio. Bei weiterhin wenigen Veranstaltungen.
Noch gar nicht berechnet wurden die Zuschauerzahlen des DFB-Pokals. Der Frauen-Bundesliga. Der europäischen Wettbewerbe mit deutscher Beteiligung. Die Spiele der deutschen Nationalmannschaften.
Und, was die Zahlen dann endgültig spannend machen würde, die Zahlen der aktiven Amateure an jedem Wochenende plus deren Besucher. 7,034 Mio. Mitglieder hat der DFB aktuell. Hier kann man sagen: Tendenz steigend! 157.000 Mannschaften (hier ein Rückgang) sind aktiv. [Und die Freizeitkicker ohne Verbandsbombast …]
Lektion 3: Ignoranz und dann hochtrabende Schlussfolgerungen
Ich erinnere nur an diesen Satz:
Nur eine Minderheit der Bevölkerung interessiert sich für Fußball, das aber sehr stark. Der Mehrheit ist das Ganze ziemlich schnuppe, wenn nicht gerade das Endspiel einer Weltmeisterschaft ansteht. Bezahlen müssen aber alle.
Ach ja. Es ist nicht so schlau, Minderheiten gegeneinander ausspielen zu wollen, Bollmann nennt dann noch ein paar Zahlen, die sich im Vergleich zu dieser jämmerlich ausmachen:
Die öffentlichen Zuschüsse wurden von rund 2,43 Milliarden Euro auf nunmehr gut 2,5 Milliarden Euro erhöht, eine Erhöhung um ca. 3,1 Prozent.
Das ist nicht das Sponsoring der ÖR- oder anderen Fußballsender für den Fußball, das sind die Subventionen für die Minderheit der Theatergänger.
In der offiziellen Bühnenvereinsstatistik auf S. 9 steht es: der durchschnittliche Erlös pro Besucher in Euro beträgt 26,87 Euro. Der „Betriebszuschuss pro Besucher“ in Euro: 121,10 Euro. So viel kommt auf jede gekaufte Karte vom Staat obendrauf. Die Eigenfinanzierungsquote beträgt: 18,2 Prozent.
Merke: Ich habe mit diesem Ausspielen von angeblicher Minderheit gegen Minderheit nicht angefangen, und bin auch nicht der Meinung, dass das Geld für Theater, Konzerte und andere Veranstaltungen falsch angelegt ist.
Ich bin nur der Meinung:
Lektion 4: Nachrechnen macht schlau
Ralph Bollmann ist
Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Wenn er und seine Zahlen bei diesem Minderheitenthema schon so daneben liegen: was bedeutet das für die Berichterstattung der FAZ über die Eurokrise? Schäubles umjubelte Spar“politik“? Die Regierungskrise in Italien? Den deutschen Exportüberschuss?
Diese Frage muss man stellen.
P.S: Das Thema hatte ich fast schon mal so.
P.P.S.: Die Behauptung im Text
Auch Umfragen belegen: Nur eine Minderheit der Bevölkerung interessiert sich für Fußball, das aber sehr stark.
läßt sich natürlich nicht überprüfen, da der Autor, wie im „Journalismus“ nicht unüblich, keine Quelle nennt.
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