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Die Piratenpartei hat meine Sympathie. Oder sagen wir: viele viele Ideen und Grundsätze der Piratenpartei haben meine Sympathie. Der Versuch, Demokratie in Zeiten des Internet neu zu denken und das Netz nicht nur als weiteren Vertriebskanal für Texte und Parteibotschaften zu nutzen. Nein, die Möglichkeiten für Transparenz und Vernetzung, Information ohne Gatekeeper und vieles anderes mehr, darüber nachzudenken ist extrem wichtig.

Aber neben dieser virtuellen Piratenpartei in meinem Kopf ist da noch die reale Piratenpartei. Und ich muss immer wieder an einen Vortrag denken, den ich 1997 gehört habe. Robert Cailliau (CERN), einer der www-Pioniere, nannte auf einer Konferenz zum Thema Demokratie und Internet als sein Lernsatz aus dieser Veranstaltung:

Technicans are political naive
Human-Scientists, polticians etc. are technical naive

In der Piratenpartei haben sich vor allem „Techniker“ (wenn auch nicht im engeren Sinne) versammelt, um Politik zu machen. Viele von ihnen würden die Aussage, „politisch naiv“ zu sein, als Kompliment oder Auszeichnung verstehen.

Aber gleichzeitig würden sie jedem Journalisten, Politiker, Wissenschaftler seine „technische Naivität“ gnadenlos um die Ohren hauen. Wehe, aus dieser Klientel verwechselte mal jemand Twitter mit einem Chat.

Und schon wird klar, dass da etwas nicht stimmen kann. Kann es toll sein, politisch naiv zu agieren, während es eine Todsünde ist, technisch nicht umfassend beschlagen zu sein?

Techniker glauben an Algorithmen, an Programme, Ablaufstrukturen, jeder noch so komplizierte Prozess läßt sich am Ende in „Ja/Nein“-Entscheidungen zerlegen. Es muss doch, wie bei Open Spurce, möglich sein, eine Gesellschaft, ein politisches System so, durch Zusammenarbeit vieler, zu konstruieren, dass es endlich mal reibungslos funktioniert, so dass man anschließend Zeit hat, das zu tun, was einem gefällt – eben weil das (politische) Programm endlich tut, was man will und was es soll.

Man muss nur überall Transparenz haben, und schon kommt am Ende Gemeinwohl und „Allen ein Wohlgefallen“ dabei heraus.

Politik vs. Programm

Mühsam müssen die Piraten erkennen, dass es sich im Sozialen nicht um ein programmierbares Gebilde handelt. Denn schon die Vorstellung davon, was das Ziel des politischen Prozesses sein könnte, ist umstritten und keineswegs Konsens. Und das auch nicht innerhalb des heterogenen Gebildes „Piraten“. „Was wollen wir“ – eine gute Frage, die die Piraten nicht wirklich abschließend beantwortet haben. Transparente Prozesse, Liquid Democracy, Offenheit, Daten für alle, Datenschutz für jeden. Gut und schön. Aber nicht ausreichend. Prozessbeschreibung alleine sagt nichts über das erwünschte Ergebnis aus. Und mit Allgemeinfloskeln wie „gerechter, sozialer, ökologischer“ wird man auch nicht weiterkommen.

Sagen wir es so: während sehr viel über den Aufbau der Software, deren Programmiersprache und Dokumentation geredet wird, fehlt es doch am Pflichtenheft, was am Ende erreicht werden sollte.

By: Piratenpartei Deutschland (Lizenz: CC-BY 2.0)

Und wenn die Piraten eine Zielbeschreibung abgeben, die sie von anderen Parteien unterscheiden soll, dann landen sie bei keinesfalls konsensfähigen Randthemen. Auffällig dabei die Fixierung der ehemaligen politischen Geschäftsführerin Marina Weisband auf das „Bedingungslose Grundeinkommen“. Auf kurier.at reitet sie weiter ihr wunderbares Steckenpferd.

Wir haben ein vollfinanziertes Modell eines Sockeleinkommens vorgelegt: 200.- Euro plus Wohngeld. Das würde zum Leben noch nicht reichen, ist aber der erste Schritt in Richtung eines BGE. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Mindestsicherung, es wäre auch kein Ersatz dafür, sondern würde zusätzlich ausgezahlt werden.

Wodurch soll das finanziert werden?

Finanziert wird es durch eine Angleichung unserer Mehrwertsteuer. Wir haben derzeit 7% und 19% und würden die Mehrwertsteuer insgesamt einheitlich auf 19% setzen.

Dadurch wird alles teurer und das BGE hätte viel weniger Kaufkraft…

Wir haben berechnet, dass tatsächlich das, was man bekommt, die Teuerung kompensiert. Außerdem wollen wir eine Finanztransaktionssteuer einführen, die helfen soll das Sockeleinkommen zu finanzieren. Ferner fordern wir die Legalisierung von Marihuana. Das würde zusätzliche Steuern einbringen.

Das ist faszinierend. Wir schaffen einen Sockelbeitrag, den alle bekommen, den aber vor allem diejenigen, die ihr Einkommen fast vollkommen verkonsumieren müssen, mit einer höheren Mehrwertsteuer auf Lebensmittel bezahlen. Ein Nullsummenspiel. Bezieher höherer Einkommen, die eine höhere Sparquote haben, bekommen 200 Euro obendrauf. Wenn es das ist, was die Piraten unter zukunftsfähiger Politik verstehen, dann wird es bei den randigen Wahlergebnissen bleiben. Sollten die Bezieher höherer Einkommen die 200 Euro nicht bekommen, dann ist es kein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Aber dass BGE der Marina Weisband ist ja nur ein Phänomen: sie wird nun wieder als „Hoffnungsträgerin“ gehandelt, hat aber zu den Kernthemen der Piraten nichts, außer dem prozessualen, beizutragen. Halt, nicht ganz. Da sind noch ihre „Kalendersprüche“ – die immer wieder das #hach der politisch naivsten Piraten auf sich ziehen.

Das Festhalten an einer Vision, trotz Fehlern und Rückschlägen. Fehler korrigieren. Neue Fehler machen. Bessere Fehler.

 

Kaputt?

Bei den Popcornpiraten läßt sich der Selbstzerlegungsprozess der Piraten nachvollziehen: Hier derbe politische Beleidigungen, dort beleidigtes Schmollen, Zynismus, Sarkasmus, verzweifeltes Umsichschlagen. Alles.

Gerade die „Techniker“ der Piratenpartei sollten inzwischen mal zur Kenntnis nehmen:

  • Twitter ist keine Diskussionsplattform.
  • Persönliche Beleidigungen sind kein Mittel der politischen Auseinandersetzung – egal ob man sie dem Gegner oder den „Parteifreunden“ um die Ohren schlägt.
  • Persönliche Steckenpferde sind noch keine Parteiposition.
  • Die Kenntnis des politischen Systems ist Grundvoraussetzung um als Partei „mitspielen“ zu können.
  • Die Medien sind weder Freund noch Feind sondern beides abwechselnd. „Mimimimi“ hilft nicht.
  • Persönliche Beziehungen sind netzbasierter Kommunikation überlegen.
  • Das politische System ist komplizierter als eine Linux-Distribution zu installieren.
  • Sinnsprüche sind keine Politik.
  • Politische Einflußnahme braucht einen langen Atem.

Die Piraten hätten in Sachen Basisdemokratie, Abgrenzung Amt/Mandat, Entlohnung von Fachpersonal etc.pp. ja mal schauen können, welche Fehler die Grünen in ihren Anfangsjahren so gemacht haben. Wo immer noch bei den Grünen Probleme herrschen (etwa bei der Repräsentation der Regionen, in denen man viele Stimmen holt, deren Grüne aber durch die Zusammensetzung der Delegiertenversammlung auf hinteren Listenplätzen landen) und wo welche Probleme gelöst wurden. Dann muss man nicht alles nochmal selbst durchmachen.

Die Gründungsmitglieder der Grünen kamen aus politischen Nichtregierungsorganisationen, Sozialwissenschaften, politischer Apo. Das Grundwerkzeug politischen Handelns und Streitens und für innerparteiliche Richtungskämpfe hatten die meisten im Gepäck. Und auch da ging es sehr ruppig und für Außenstehende entweder abschreckend oder faszinierend zu. Das bleibt den Piraten als Mut machendes Beispiel. Allerdings war Umwelt- und Naturschutz und Friedenspolitik als Thema in einer Welt des Sauren Regens und von Tschernobyl, des kalten Krieges und der SS20-Raketen den Wählern sehr viel leichter vermittelbar als das Thema Datensicherheit und Open Data. Das sind die Knackpunkte – nicht das BGE. Sollten die Piraten weiter auf Orchideenthemen setzen und jeder sein „Ding“ machen wollen, dann wird das eher nichts werden.

http://storify.com/misc987/piraten-und-perspektiven

 

Ein Gedanke zu „Dream On“
  1. Deckel drauf und kochen lassen. Dann Deckel wieder runter und gucken, wer noch nicht verdampft ist.

    Die Gefahr ist, daß die politisch Naiven die Hitze nicht spüren, während sich die Politiktauglichen davongemacht haben werden.

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