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Nach dem Stuckrad Barre kam bei mir

Zwei Dinge vorab: in weiten Teilen ist der Podcast ein guter Beitrag zum Thema, zu Springer, Döpfner und natürlich Reichelt. Vom reinen #metoo Thema geht es allgemein um die Mechanismen hinter den Verlagskonstrukten BILD, aber auch WELT und was da noch so im Portfolio steckt. Und das ist gut so, denn der Einordnung bedarf es.

Zum Zweiten aber: darf ich den Podcast als Alter Weißer Mann (AWM) überhaupt kritisieren? Zwei junge Journalistinnen (Selbstzuschreibung), Pia Stendera und Lena von Holt? Ihren Stil, Herangehensweise, Sprache, journalistisches Selbstverständnis? Ich höre schon das „ok, Boomer“, und vielleicht ist das ja „ok“. Und wahrscheinlich „darf“ ich das eigentlich nicht.

Ich mag aber Kleinig- und Großigkeiten nicht unkommentiert lassen, alter Journalistenfluch. Am Ende steht eine Hörempfehlung, aber an gewissen Stellen hat sich bei mir ein unangenehmes Gefühl eingestellt (s.u.). Über den Stand des Journalismus in der Generation … (welcher eigentlich, gibt es das?) ganz allgemein. Soll aber Short bleiben.

Gemein machen

Grundsätzlich kann es nicht falsch sein, empathisch mit Betroffenen umzugehen, die Schlimmes, Problematisches, Mißbräuchliches erlebt, ja, durchgemacht haben. Das ist vor allem im Umgang mit Nora (die mich an Sophia bei „Noch wach“ erinnert), die ein ausführliches Interview gibt, zu spüren. Und verständlich. Mich hat irgendwann die Sprachverzerrung, die an und für sich aufwendig zu sein scheint, genervt, das Vernuscheln von Silben ging mir irgendwann nur noch auf den Keks – ich würde dazu neigen, auch hier die Aussagen durch eine Schauspielerin nachsprechen zu lassen. Die Software zur Unkenntlichmachung scheint am Englischen trainiert worden zu sein, so dass die deutsche Sprache es etwas schwerer hat. Nur eine Vermutung.

Schwerer wiegt allerdings, dass Nora Dinge erzählt, dann aber Noras Reaktionen und Verhalten, auch ihre Gefühlt, durch die Host erzählt werden – und zwar als objektive Tatsachen, auch wenn bei diesen Passagen auch nur Noras Aussage die Quelle sein konnte. Das wäre ein „Nora war dann sehr verunsichert“ ohne den Zusatz „erzählt Nora“. Denn die Host war nicht dabei.

Petitesse? Vielleicht aber ein Symptom für die Annäherung an eine Protagonistin. Besonders kritisch die Passagen, in denen versucht wird zu begründen, warum sie dass alles so durchgehalten hat. Hier ist, natürlich, die Gefahr des Victim-Blaming groß. Will ich nicht machen. Ich habe mich aber vor allem bei Folge 7 gefragt: hey, da ist die Rede von Traum vom Journalismus. Dass sie gut in ihrem Job sei. Einfach nur ihren Job machen wollte.

Aber hey: bei Springer. Der BILD. Wie geht das mit „Traum vom Journalismus“ und mit der Beschreibung als kluger, selbstbewusster Frau zusammen? Und das vor allem, wenn in vorherigen Folgen ja die zeitliche Kontinuität aufgezeigt wird, nach der BILD schon immer ein schamloses, schmieriges Propagandablatt war. Und dass es Menschen gab wie Klaus Staeck und Günter Wallraff, die das System und seinen verrotteten Kern vor Jahrzehnten schon beschrieben haben.

Ich hatte bei meinem Wunsch, Journalist zu werden, nach der Lektüre von DER AUFMACHER, und ZEUGEN DER ANKLAGE präzisiert: bei Axel Springer sicher nicht. Nicht im Sportteil, nicht in WELT oder Hamburger Morgenpost, sicher nicht.

Daher tue ich mich sehr schwer mit Menschen, die glauben, ihren Lebenstraum in diesem Haus verwirklichen zu müssen. Dabei von Journalismus reden. Und auch ich, als Herausgeber der Abizeitung meines Jahrgangs, hatte so eine Nachwuchskraft am Telefon, als Sonntags-Nachmittags dringend nach dem Foto eines Menschen aus dem Jahrgang gesucht wurde, ob ich da helfen könne, ich hätte doch wohl noch die Druckvorlagen. Der Mensch war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und die BILD-Regionalredaktion jagte einem verwertbaren Opfer-Foto hinterher. Angewidert habe ich aufgelegt. Großartige Rechercheleistung, mich da zu finden, für den üblichen ekelerregenden Zweck. Und niemand kann mir erzählen, dass die jungen Journalistinnen und Journalisten, die gen Springer-Schule streben, das nicht wissen könnten. Die haben ihren moralischen Kompass nun mal irgendwo abgelegt und dann verloren.

Wäre das Blatt besser, wenn man da ohne Machtmissbrauch vor sich hinschmieren könnte?

Diese Fragen auch mal gegenüber den Protagonistinnen, den „Opfern“ zu stellen, hätte ich legitim gefunden. Doch da war dann doch die Empathie davor. Und nochmal: geht es um Victim-Blaming? Nein. Aber ich frage mich, nach Boys Club mehr denn je, was Menschen dazu bringt, für Springer und seine Publikationen zu arbeiten. Und bleibe ratloser denn je zurück.

Und es geht viel um Gefühle. In einem Text würde ich das Wort suchen und aufmerken, wie häufig das Wort vorkommt. Podcasts entziehen sich da der Analysemöglichkeit, ebenso wie ich keine Passagen markieren kann, um auf sie zurückzukommen. Das Macht Podcasts so verdammt wenig anschlussfähig was Kritik und Diskurs angeht. Weshalb ich sie normalerweise meide.

Auch die Flüchtlingsgeschichte in Folge 3 lässt mich mit Fragen zurück, aber sei es drum.

Unsachliches und Fachliches

Zum formalen nur ein paar Anmerkungen:

Das Wort „ehrlich“ (etwa in: „jetzt mal ehrlich“, „ganz ehrlich“) kommt mir zu oft vor, vor allem in Folge 7. Ein Lektorat hätte hier gut getan, und ich finde die Haltung auch komisch: muss man das so oft betonen? Wo ist die Floskelwolke, wenn man sie mal braucht.

Die Folge 8 war überflüssig, ebenso alle Passagen, in den die beiden Journalistinnen ihre Befindlichkeiten (lach, kicher) diskutieren. Tut mir leid, ich interessiere mich wenig für die Autorinnen. Okay, sie bestätigen mir, dass das einflechten englischer Phrasen in der Altersgruppe vollkommen normal ist (ging mir der Slang bei „Noch wach“ auf den Keks). Aber sonst? Selbstreflexion oder Selbstbestätigung? Ich weiß es nicht.

Sprachliche Manierismen oder Fehler – da habe ich nur einen engen Toleranzkorridor. Und das schlimme bei mir ist: wenn ich Dinge mal identifiziert habe, dann nehme ich sie verstärkt wahr und ärgere mich „immer mehr“. Das betrifft gerade die Spreche der Host mit den verschluckten „t“s: „Nich“ statt „Nicht“, „is“ statt „ist“. Und wie oft man und frau diese Worte braucht.

Das Klaviergeklimper zur Wichtigkeitssimulation oder einem „Deutschlandfunk“-Sound – ich brauch das nicht.

Der ausblickende Teil 8 beginnt mit wohlgesetzten Worten zu „unerträglichen Zuständen, Leiden der Frauen, Schaden für die Branche“. Gesprochen von Julia Becker auf einer Veranstaltung von „Frauen100“ am 26.1.2023 im Adlon in Berlin. „ekelig“ und „geschäftsschädigend“. Applaus, Wow-Rufe. War da was? Journalistisch gesehen hält sich die Funke-Mediengruppe ein paar Feigenblätter, aber mindestens der „Frauenblätter“ Teil ist Springer-like verrottet. Und darauf wird seid Jahren hingewiesen, bei Uebermedien, anderswo. Standards im Journalismus? Träum weiter, „unterhaltende Frauenzeitschriften“. 1,4 Mio. Hefte. Pro Woche. Herzlichen Glückwunsch zur Vertreterin dieser Art von Journalismus auf dem Frauen100-Podium.

Folge 8, es geht um eine Petition. Im Podcast heißt es. „Es hat sich gelohnt. Die Bundesregierung hat den Gesetzesentwurf angenommen“. Äh, was? Bundesregierung, Gesetzesentwurf, angenommen? Das Ganze ist komplizierter, aber eine Petition ist kein Gesetzentwurf, und die Bundesregierung macht vielleicht Gesetzesentwürfe, die müssen aber ja durch den Bundestag und da angenommen werden, ich vermute mal dass die Petition entgegengenommen wurde, und dass es einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der ILA Richtlinie 190 durch die Bundesregierung gibt, der die Regeln gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz umsetzt. Puh. Aber dieser Satz: „Die Bundesregierung hat den Gesetzesentwurf angenommen“ ist Quatsch. Man hätte es auch weglassen können, wenn das Ganze schon so kompliziert ist.

Ich empfehle den Podcast trotz alledem weiter. Folge 8 kann man/frau sich sparen.

Update: Bei Übermedien gibt es diese Rezension, der ich weit überwiegend beipflichten möchte. Nur: mehr Journalisten-Selbstbequatsche brauche ich nicht.

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