Also. Es gibt eine Rennaisance des sozialistischen Gedankenguts, und fast alle Medien, die vor Jahren schon Abschied von linker Gesinnung genommen haben um dem „neoliberalen“ Kurs hinterher oder vorneweg zu laufen entdecken die „Ungerechtigkeit“ als Thema, natürlich als pandemonisches Untergangsthema. Natürlich muss man nicht uneingeschränkt alles, was rot-grün in Sachen Wirtschafts- und Finanzpolitik gemacht haben gut finden, jetzt aber so andersherum ins Extrem umzuschlagen ist auch wieder bedenklich. Der Medienzirkus spielt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beschäftigung zunimmt (ja, auch die sozialversicherungspflichtige) das Lied vom Tod. Die Arbeitslosenquote niedrigst: kein Grund zur Freude, da sieht man wieder mal die Stille Reserve – von der wir mal ausgehen dürfen, dass es die auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gab.
Der Trend ist auf jeden Fall gesetzt, und nachdenkseiten und Co. dürften sich freuen, sind aber viel zu sehr mit dem bräsig-sein beschäftigt um den Sinneswandel zu bemerken.
In diesen Kontext passt dann auch der Artikel von Franziska („Ich trage einen berühmten Namen“) Augstein im ansonsten von mir so geschätzten SZ-Magazin. Die Gesamttendenz des Artikels stört mich nicht, es gibt Meinungen, die kann man haben. Im Detail stört mich allerdings eine gewisse Huschigkeit was Fakten angeht, die einen geradezu auf die Palme bringen kann.
Nur ein paar Beispiele
Die Politik, die in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, dass die Kluft zwischen Reichen und Armen in der Bundesrepublik immer größer wird und dass Kinder armer Eltern jetzt viel geringere Chancen haben, es zu etwas zu bringen als noch zur Jugendzeit von Gerhard Schröder.
Also, die Jugendzeit von Gerahard Schröder (geboren 1944) liegt dann mal so runde 50 Jahre zurück. Ist es die Politik der letzten Jahre oder die Politik der letzten Jahrzehnte, die dafür gesorgt haben, dass die Aufstiegschancen schlechter wurden? Implizit heißt es: rot-grün (letzten Jahre) oder heißt es nicht eher, dass jahrzehntelang angesichts einer sich verfestigenden Sozialstruktur politisch nicht entschieden genug gegengesteuert wurde. Und was ist eigentlich „es zu etwas bringen“?
1990 ergab eine Meinungsumfrage, dass lediglich dreißig Prozent der Deutschen glaubten, der Sozialismus sei »eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde«. Heute sind es 45 Prozent.
Was heißt denn „lediglich“? Die Zahl war damals schon schockierend groß …
Der SPD-Linke Ottmar Schreiner hat eine Statistik präsentiert: Weil Geringverdiener in Deutschland eine durchschnittlich niedrigere Lebenserwartung haben als andere, zahlten sie 50 000 Euro mehr in die Rentenkasse ein, als sie später erhalten. Besserverdienende hingegen erzielten aus der Rentenversicherung einen Gewinn von bis zu 200 000 Euro.
Welch traurige Quellenangabe: Ottmar Schreiner. Wäre es nicht an einer Journalistin, nachzurecherchieren, woher Herr Schreiner diese Zahl hat? Die Frage wäre doch: wieviel verdient ein Geringverdiener, wenn er 50.000 Euro „zu viel“ einzahlen kann? Wir reden also von insgesamt 100.000 Euro (Arbeitgeberanteil) zuviel gezahlen Beiträgen. Mit wie vielen Durchschnittswerten, deren Fragwürdigkeit wir alle kennen, muss man denn rechnen, um zu so einer Behauptung zu kommen: Durchschnittsgehalt, Durchschnittslebenserwartung, und schon kann man sich alles berechnen … Immerhin, Herr Schreiner, gibt es ja eine Beitragsbemessungsgrenze die verhindert, dass der langlebige Kapitalist noch mehr Rendite aus seiner Rente holt. Und was ist mit den Geringverdienern, die Grundsicherung bekommen? Fragen, Fragen, Fragen …
Die folgenden Absätze sind pure Polemik
Die Deutschen, die das lang glaubten, mussten zusehen, wie – trotz aller Konzilianz bei Lohnverhandlungen – ein Unternehmen nach dem anderen profitable deutsche Produktionsstätten schloss, weil anderswo etwas mehr Profit zu erzielen war. Allmählich dämmert den Deutschen, dass es gar nicht so schade gewesen wäre, wenn Jürgen Schrempp (Daimler), Klaus Esser (Mannesmann) oder Ron Sommer (Deutsche Telekom) sich beizeiten im Ausland verdingt hätten.
Gewerkschaften und Arbeitnehmer haben die Schmälerung der Nettoverdienste jahrelang hingenommen, im Namen der Gesundung der Wirtschaft. Inzwischen hat sich die Ansicht breitgemacht, dass aller Verzicht der Arbeitnehmer immer nur dazu führt, weiteren Verzicht zu fordern. Was die Politiker den gesellschaftlichen Solidarpakt nennen, ist in den Augen der Wähler nicht mehr verlässlich. Die Unternehmensführungen fühlen sich den Aktionären verpflichtet, nicht den Arbeitnehmern oder der Gesellschaft.
Dieses Land ist, so scheint es mir, keineswegs deindustrialisiert. Dass profitable Unternehmen Teile schließen weil es woanders profitabler ist, dafür gibt es Beispiele. Aber keinen Beleg, dass das überall und überwiegend so ist. Wir haben es mit Thesen zu tun, die dürftig oder gar nicht belegt sind. (Was hat Klaus Esser in der Liste zu suchen, außer dass er einen überdimensionierten HAndschlag kassierte. In Sachen Arbeitsplatzbilanz dürfte er nicht schlecht aussehen: die Arbeitsplätze beim Mobilfunkanbieter Mannesmann und Arcor entstanden neu, und die alten Mannesmann-Industrien gingen an andere, etwa Salzgitter. Die Jobbilanz dürfte nicht zu schlecht ausgefallen sein. Durch Verlagerungen ist er auf jeden Fall nicht aufgefallen. Aber er ist ein Buhmann.)
Viele Wohlhabende sehen nicht ein, warum sie hohe Steuern zahlen sollen – ihre Kinder schicken sie ja längst auf Privatschulen, sie haben private Kranken- und Rentenversicherungen und finden, dass der Staat ihnen zu sehr auf der Tasche liege. Die Armen hingegen sollen ihren sozialen Beitrag leisten, indem sie ihre Arbeitskraft auch für 3,50 Euro Stundenlohn verkaufen. Ein Kind aus gutem Haus, das als Babysitter sein Taschengeld aufbessert, wird besser bezahlt.
Woher kommt der 3,50 Euro Stundenlohn? Und was soll der polemische Nachsatz?
Wie gering der Sachverstand der Autorin ist zeigt dieser Absatz
Heute gehören viele Unternehmen Aktienfonds, deren Anteilseigner häufig nicht einmal wissen, wo genau sie ihr Geld investiert haben. Und wenn sie es wissen, interessiert das Schicksal der Arbeitnehmer sie nicht.
Gehen wir davon aus: FA meint Hedge-Fonds oder Private-Equity-Firmen, die ja als Heuschrecken ins Gerede gekommen sind. Aktienfonds gibt es ja auch, aber die funktionieren anders, und die haben, nach meinem Kenntnisstand, keineswegs prominenten Einfluss auf Unternehmensentscheidungen, es muss eine Menge passieren, bis sich DWS, Union, Deka irgendwo einmischen. Also: Aktienfonds sind was anderes, vor allem gelten für diese Regeln, die es für Kapitalanlagegesellschaften nicht gibt. Setzen.
Während ein klassischer Unternehmer darauf achtete, dass seine Firma jahrzehntelang florierte, kommt es den heutigen Kapitalfonds auf kurzfristige Rendite an. Ob ein Unternehmen es übersteht, wenn es gekauft und geschröpft wird, spielt keine Rolle.
Auch langweilig. Der berühmte Warren Buffet und mit ihm viele viele andere Fonds achten auf langfristige Rendite – die machen wenig Schlagzeilen, haben aber sicher die Mehrheit.
Wie durcheinander es manchmal gehen kann. Thema: Privatisierung (Natürlich von Übel)
Heute erfrieren in Deutschland nur Leute, die auf sich nicht aufpassen. In Großbritannien hingegen, das sich unter Margaret Thatcher und Tony Blair den niedrigen sozialen Standards in den USA angeglichen hat, sterben in jedem harten Winter alte Menschen in ihren Wohnungen vor Kälte, weil sie nicht das Geld haben, die privatisierten Energieversorgungsunternehmen zu bezahlen.
Hat das nun etwas mit dem Sozialsystem zu tun, das in Großbritannien Transferleistungen schlecht organisiert, oder mit der Tatsache, dass Energieversorger kommerzielle Unternehmen sind? Antwort A ist richtig, deshalb verfängt die Keule gegen die Privatisierung nicht: ob der Staat die Stütze an einen kommunalen Betreiber oder an einen Multi zahlt, das ist egal, Hauptsache die Wohnung ist warm. oder?
Es ist ein Wünschdirwas an Beispielen, und ein gerademal halb-gares Hintergrundwissen, wahrscheinlich aus dem SPIEGEL angelesen. Das sollte zu wenigs sein für einen so langen SZ-Magazin-Beitrag.