Es war der Tag nach der „Jamaika platzt“-Nacht. Man kann den Tageszeitungen nicht vorwerfen, dass sie an diesem Morgen ganz besonders alt aussahen. Viele haben auch sehr zurückhaltend, also journalistisch sauber und vorsichtig geschlagzeilt.
Was mich viel mehr an meiner Tageszeitung, dem „Darmstädter Echo“ frustriert hat, das war das untere Drittel der Titelseite. Wohlgemerkt: in den wahrscheinlich nachrichtenstärksten, zumindest aber auch journalistisch spannendsten Wochen des Jahres:
„Drei Newspaper-Awards für VRM-Titel“, so die einigermaßen kryptische Überschrift, denn ich denke, immer noch wissen wenige Leser mit dem Kürzel VRM etwas anzufangen – es handelt sich um die ehemalige „Verlagsgruppe Rhein-Main“, die jetzt VRM heißen will, nicht mehr als Abkürzung, sondern einfach nur so.
Ist das eine Mitteilung, Eigen-PR, Nachricht? Ist das so relevant, dass es auf die Titelseite muss? So groß?
Fragen, die sich stellen, aber das „Echo“ (das ja diese drei Preise nicht alleine bekommen hat, sondern zum einen die für den Verlag so preiswerte Wochenendbeilage für „Allgemeine Zeitung“, „Wiesbadener Kurier“, „Darmstädter Echo“, dann die Wahlausgaben der genannten Titel, und immerhin eine Multimedia-Story des Darmstädter Echo.) und dessen Redaktion hatte wohl keine Wahl, ob so etwas auf die Titelseite gehört. Denn dieser Tage schmücken sich alle Blätter landauf landab mit dem „European Newspaper Award“. Auch die BILD auf dem Titel. Viele sehr prominent. Hier das Ergebnis der Google-News-Suche.
Drei für den Tagesspiegel, 23 Preise für Gemeinschaftsredaktion melden die „Stuttgarter Nachrichten“, drei „Berliner Zeitung“, „BILD“ ohne Zahlenangabe, Fünf „Rheinische Post“, Vier für den „Freitag“, 20 in Österreich, 37 in der Schweiz – und das ist nur, was auf einen Screenshot passt.
Äh, was ist denn das?
Das schreibt die Homepage newspaperaward.org/
Der European Newspaper Award hat die Aufgabe, europaweit den Austausch von Ideen über Konzept und Design von Zeitungen in Print und Online zu fördern.
Der Wettbewerb wird von Norbert Küpper veranstaltet.
Um diesen Austausch von Ideen zu fördern gibt es den Bericht über die Preisträger des 19. Wettbewerbs a. als via ISSUU in blätterbare Form gebrachtes Dokument, oder b. als PDF. Von HTML, Webdesign oder spezifische Anforderungen ans World Wide Web und moderne Wahrnehmung haben die Macher, die ironischerweise auch Rubriken wie „Online und Crossmedia“ oder „Innovation Online“ auszeichnen, anscheinend noch nie gehört.
Bei journalistenpreise.de wird der Award wie folgt zusammengefasst:
Ausgezeichnet werden Zeitungen für Design und Konzept. Der Hauptpreis „European Newspaper of the Year“ wird in den vier Kategorien Lokalzeitung, Regionalzeitung, überregionale Zeitung und Wochenzeitung vergeben. Darüber hinaus werden „Awards of Excellence“ in aktuell 19 Kategorien vergeben.
Bitte beachten: Es wird eine Teilnahmegebühr erhoben
Also: es gibt einen Hauptpreis in vier Kategorien. Wer „Newspaper Of The Year“ wird, der steht wirklich an der Spitze einer Auswahlkette, prämiert von einer Jury. Um die inflationären Erfolgsmeldungen der Zeitungen zu verstehen sind aber die „Awards Of Excellence“ wichtig.
Ja, es gibt „nur“ 19 Kategorien. Aber die haben bis zu sechs „Unterkategorien“:
Und die Anzahl der „Awards“ pro Unterkategorie ist nicht limitiert. Ich gestehe, ich bin an dieser Stelle einfach aus Zeitgründen nicht in der Lage, die Anzahl der „Awards“ durchzuzählen. Hier ist das PDF zu finden, wer ein bisschen Zeit und Lust hat, der kann die Anzahl ja in die Kommentare schreiben. Die Liste der Gewinner nimmt die Seiten 16-67 ein. 52 Seiten. Ich schätze, im Schnitt 7 Gewinner pro Seite. Macht 406 Awards. Plusminus. Wie gesagt: ich habe nicht gezählt.
Meine Schlussfolgerung: es müsste schon ganz blöd laufen, wenn ein teilnehmendes Verlagshaus oder dessen Publikationen nicht mindestens 1-3 Preise bei diesem „strengen“ Wettbewerb bekommt.
Schmunzeln muss ich angesichts der Webseite des Awards eh: sehr prominent, unter dem Link für die Preisträger:
Zahlung? Wie? Was?
Naja, die Teilnahme an dem „Wettbewerb“ kostet halt. Allerdings, finde ich, nicht viel: für 240 Euro kann man pro Kategorie (!) sechs Einreichungen machen. 185 Zeitungen aus 27 Ländern haben teilgenommen, macht so rund 44.000 Euro Einnahmen. Ob das mehr als kostendeckend ist, das kann ich nicht beurteilen (Kein Vergleich mit dem Red-Dot-Design-Award, wo Gewinnen extra kostet …)
Andererseits: ist ein „Award“ wirklich eine Drittel Titelseite wert? Müssen denn die Tageszeitungen so auf den PR-Busch klopfen? Wie steht es um die journalistische Kompetenz nach Relevanz zu gewichten? Darf in diesem Fall eigentlich eine Redaktion über ihre Titelseite bestimmen?
Eigen-PR ist per se nicht ehrenrührig, und man darf sich freuen, und gerade die verantwortlichen MitarbeiterInnen dürfen sich freuen, wenn die Arbeit gewürdigt wird. Das ist vollkommen legitim. Ein Kästchen auf der Titelseite, ein Verweis auf einen Artikel weiter hinten, alles prima. Aber ich glaube, fast alle Zeitungen haben hier zu kräftig auf den Busch geklopft. Augenmaß, das wird immer gerne gefordert, in Kommentaren und Essays. Die Rettung der Zeitungsbranche wird durch einen vermeintlichen Imagegewinn durch einen eher dünnen Preis nicht passieren. Mit ihrem Umgang mit dem European Newspaper Award macht die Zeitungsbranche gerade keine Werbung für ihr Hauptanliegen: die Bedeutung des Journalismus für die Demokratie. (Abgesehen mal vom Geldverdienen).
Foto: Roman Kraft