Meine zweite re:publica. 2013 hat es für ein umfangreiches Storify gereicht, vielleicht mache ich das auch noch, wenn ich wieder zuhause bin. Allerdings war mein Fokus in diesem Jahr auf die Mediaconvention gerichtet, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo für Bewegtbild und TV die Zukunft gemacht wird. Um es kurz zusammenzufassen: das war Nix. Da durften Unternehmensvertreter vor allem vortragen, was sie für tolle Produkte und Ideen haben. Und das war eher langweilig.

Dann aber gestern Abend Sascha Lobo und seine „Ansprache“ oder Predigt zur „Age Of Trotzdem“. Eine gute Zusammenfassung hier bei heise.

Lobo ist gern gebuchter Redner, gern gelesener Kolumnist, scharfsichtiger Einordner. Ein Typ, der es schafft, die Stage 1 abend sehr rappelvoll zu bekommen, und Wohlwollen schlägt ihm größtenteils entgegen, und selbst wer nicht wohlwill, der will doch meistens hören, was er zu sagen hat. Keine „Rede zur Lage der Nation“ soll es sein, ist es aber irgendwie dann doch.

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Und er muss dann konstatieren: die Vorratsdatenspeicherung gibt es doch, aller dagegen geschriebener Artikel zum Trotz. Und in diesem, vielleicht von den Teilnehmer als „unserem“ betrachteten Netz haben andere inzwischen lautstark die Meinungsmacht an sich gerissen. Alleine die Zahl der Facebook-Follower der AFD im Vergleich zu denen anderer Parteien. Der Hate-Speech. Propaganda. Irgendwie haben „die Anderen“ das Netz sehr gut verstanden und wissen es zu nutzen. Immer provozieren, um im Gespräch zu bleiben, immer hart an der Grenze des Justiziablen und über die Grenze des guten Geschmacks hinaus.

Die Bestandsaufnahme ergibt:
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Übersetzt heißt das übrigens: „Alles Scheiße, aber ich bin nicht tot“

All dem und noch viel mehr versucht Lobo nun ein „Trotzdem“ entgegenzustellen, ein trotziges Beschwören des „Spirits“ der „Netzgemeinde“ (zweimal gesagt).

Rhetorisch versucht er das Publikum einzubinden, gemeinsam „Trotzdem“ zu rufen, zu schreien, aufzustehen. Nehme ich es vorweg: das klappt nur mäßig.

Ich komme zu einer ganz anderen Einschätzung als die Berliner Zeitung vom 3.5.2016
Ich komme zu einer ganz anderen Einschätzung als die Berliner Zeitung vom 3.5.2016

Der Vortrag, den andere als „aufrüttelnd“ oder „netzoptimistisch“ wahrnehmen, den nehme ich als tiefdeprimierend wahr. Denn seine Zustandsbeschreibung ist meist schonungslos, manchmal bitter, wenn er etwa das Ziel von Sigmar Gabriel von der tollen Digitalisierung Deutschland 2025 mit dem aktuellen Ausbau der Glasfaserinfrastruktur vergleicht. „Die 1-Prozent-Hürde übersprungen.“ Hurra.

Eigentlich ist das alles nur bitter. Der Versuch, mit Hilfe des „Trotzdem“ und dem Publikum gegenzuhalten, verebbt immer mehr, der rhetorische Kniff wendet sich gegen den Redner, wenn die „Trotzdems“ immer leiser werden.

Denn jetzt müssten Perspektiven kommen, oder zumindest ein Aktionsraum definiert werden, in dem man dieses Netz „zurückerobern“ könnte von denen, die es populistisch so unglaublich gut verstanden haben. Den Firmen, die es parzellieren und aufteilen und Menschen in ihren Ökosystemen einsperren.

Aber: da kam nichts. Das Lamento „Edge=Offline“ können die Zuhörer nachvollziehen und applaudieren. Wenn er dazu aufruft, Unternehmen zu gründen, dann bleibt das inhaltsleer wenn er fordert, ein „Snapchat“ für Erwachsene zu erfinden oder eine Software, die iTunes ersetzt. Ja, wahrscheinlich die beschissenste Software des Planeten. Aber wen oder was soll das retten? Dass Lobo selbst ratlos auf die Lage blickt wird auch klar, wenn er als Zeichen des Protestes von den Teilnehmern möchte, dass sie das iPhone 7 bitte nicht am Erstverkaufstag kaufen sollten, sondern einen Tag später. Sind das die Handlungsoptionen?

Also ich kam deprimiert aus dem Vortrag, launig und mit Anekdoten und „Erpressungsmaterial“ gespickt, aber dann doch: ratlos. Und zwar so absolut, dass man verzweifeln könnte. Applaus, der Vorhang schließt sich. Und anschließend Party auf Stage 3. Die „Lage der Nation“ ist verzweifelt, umstellt von den Welzers dieser Wellt, Überwachungsfanatikern in den Staaten, Firmen die Daten sammeln und irgendwas schon damit anfangen können, und dem Straßenpöbel, der Überschriften liest und dann flamed, jede Lüge begierig aufgreift und andere „Lügenpresse“ nennt.

Die re:publica ist ein Zeichen für das andere Netz, doch die Avantgarde sieht, dass sich nicht so viele hinter ihr versammelt, stattdessen so viele die digitalen Möglichkeiten zur Verengung ihres Horizonts nutzen. Aus der möglichen „Befreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit“ ist eine falsch verstandene Emanzipation von den Werten des Humanismus geworden. Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen bleibt die Herausforderung, unmündig den neuen Rattenfängern zu folgen sieht nur so aus.

Ein deprimierender Abend. Kein Aufbruch.