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Schulz

Der Satz, den Hans-Martin Tillack für seinen Artikel auf stern.de als Überschrift gewählt hat, ist wirklich wichtig: Warum wir Journalisten den Schulz-Hype aufarbeiten müssen.   Hier fühle ich mich vom „wir“ mal angesprochen. Denn er konstatiert ja zu Recht:

(..) einer, den seine Glaubwürdigkeit auszeichne. So las man es von „FAZ“ bis „SZ“. „Dass er aus dem Material ist, aus dem man Kanzler macht, ist keine Laune der Geschichte“, huldigte ihm gar ein früherer Brüsseler Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in einem Buch: „Schulz verkörpert eine unter Politikern seltene, komplette Glaubwürdigkeit.“

Eine komplette Glaubwürdigkeit! Noch vor ein paar Tagen fragte ein Kollege angesichts des strauchelnden Parteichefs, warum der denn entgegen früherer Versprechen partout Minister werden wolle – und damit ausgerechnet sein größtes Kapital gefährde, nämlich die „Glaubwürdigkeit“.

Journalismus-Ikonen wie Heribert Prantl jubelten über den Europapolitiker: „Schulz hat, was Merkel fehlt“ heißt es in der Süddeutschen:

Die Leidenschaft, wie sie zu diesem Mann gehört, ist ganz und gar unbürokratisch.

Wow.

Schon mir als nur halbherzig am Brüsseler Politikbetrieb interessierten hätte auffallen müssen, dass sich das gar nicht so sehr mit meinen Eindrücken deckt – aber auch ich nahm mal den Pressemainstream hin. Ich war nur einmal kurz zu einer Pressereise in Brüssel, damals machten die Auseinandersetzungen zwischen Schulz und dem querulatorischen Parteienforscher von Arnim gerade keine Schlagzeilen mehr. Ein strenger Beobachter der EU, seiner Bürokraten und Parlamentarier war Tillack über lange Jahre, und so wundert er sich Anfang 2017 und auch heute über die Urteile über Schulz:

Da gab es Leute, die nicht hören wollten, dass es normal sei, dass jemand anfangs gute Umfragewerte hat, der zuvor nicht Teil der polarisierten deutschen Debatte war. Und über den damals anfangs fast nur freundlich berichtet wurde. Weshalb auch die Frage kaum diskutiert wurde, ob ein Europapolitiker aus dem Brüsseler Kungelsystem für die hiesige Konkurrenzdemokratie gerüstet ist, in der man zum Beispiel Themen erkennen und besetzen muss. Und ob einer wie Schulz dem medialen Druck gewachsen ist, der in Brüssel mangels ständigem Parteienkampf und dank häufig wohlgesonnener Berichterstatter nur gering ausfällt. Weswegen man sich als Politiker in Brüssel übrigens eine Dünnhäutigkeit leisten kann, mit der man in Berlin zwar eine Weile durchkommen kann. Aber nicht auf Dauer.

Tatsächlich kann man im EU-Parlament nur mit Kompromissfähigkeit und einem Hang zu Kungelei erfolgreich sein, wenn die beiden größten Fraktionen im Parlament das Geschehen dominieren. Und das tatsächlich meist unter dem Radar der Medien, denn Europageschichten „laufen nicht“, sagt sich der Blatt- oder Fernsehmacher in der Heimat. Und liegt damit ja nicht falsch.

Ansonsten habe gar nicht alles lesen können, was SPIEGEL, ZEIT u.a. zum Thema SPD zu schreiben haben. Das hätte ich allerdings gerne getan

Italien

Ausland kommt bei Online-Medien nicht soo kontinuierlich vor, vor allem braucht man Korrespondenten vor Ort, Kenner des Landes, kurz: eine Infrastruktur oder zumindest einen freien Mitarbeiter, der Geld kostet. In der ZEIT Beppe, Giggino und viel Frust (Z+ Artikel) über die bevorstehenden Wahlen in Italien und die Fünf Sterne Bewegung.

Die Fünf Sterne seien die einzige Bewegung, die Gesetze für Menschen mache, nicht für Banken. Sie richte sich an gewöhnliche Leute. Jahrelang hätten korrupte Politiker das Volk betrogen. „Schauen Sie“, sagt Di Pillo und deutet auf ihren Schreibtischstuhl, „dort wurde mein Vorgänger festgenommen.“ Die Einwohner hätten ein Recht darauf, an die Institutionen zu glauben. „Die Fünf Sterne werden diesen Glauben wiederherstellen.“

Vier Tage nach ihrer Ankündigung flimmert erneut ein Video aus Ostia über italienische Fernsehbildschirme. Diesmal ist darauf der Bruder von Roberto Spada zu sehen, ebenfalls Mafioso. Er steht im Boxstudio, scherzt vertraut mit einem Mann. Wie sich herausstellt: ein Parteifreund Di Pillos.

Es scheint so, als habe sich das politische System Italiens zwar gehäutet, aber richtig viel geändert hat sich nicht.

Als Raggi 2016 Bürgermeisterin wurde, versprach sie Fortschritte auf allen Ebenen, sie wollte Transparenz ins Rathaus bringen, das Müllproblem lösen, den Nahverkehr verbessern. Knapp zwei Jahre nach all den schönen Worten läuft man durch die Altstadt und sieht alle Abfalleimer überquellen. Man wartet auf Busse, die einfach nicht kommen. Man steht am Hauptbahnhof, wo angespülte Flüchtlinge und abgehängte Römer eine Elendsgemeinschaft bilden. Raggi wurden in ihrer kurzen Dienstzeit bereits Amtsmissbrauch und Falschaussage vorgeworfen. Sie musste, in 14 Monaten, 16-mal ihr Kabinett umbilden. Eine Beraterin wurde verhaftet.

Noch aber scheint in Italien die Sehnsucht nach Veränderung größer als jede Furcht vor Enttäuschung.

Optimistisch für Europa stimmt mich das alles nicht.

 

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