Matt Ruff ist schon so einer: mit seinem Debut FOOL ON THE HILL hat er für sich selbst Maßstäbe in Sachen origineller Realitätsbearbeitung gesetzt. Nach einem solchen Einstand würde es vielen Autoren schwer fallen, sich weiter zu entwickeln, für andere wäre der Druck vielleicht zu groß. Matt Ruff ist aber kontinuierlich eines geblieben: ein hervorragender, spannender Geschichtenerzähler. Und dass gute Bücher nicht dick sein müssen, das hat er schon mehrfach bewiesen.
In BAD MONKEYS erzählt Jane Charlotte ihre Geschichte: sie sitzt als Mordverdächtige in der psychatrischen Abteilung eines Gefängnisses einem Therapeuten gegenüber und eröffnet diesem, sie sei Agentin einer geheimen Organisation, die das Böse bekämpfe, indem sie „böse Affen“, nicht zu retende böse Menschen, identifiziere und ausschalte. Dabei ausgestattet mit High-Tech, einem unerschütterlichen Sendungsbewußtsein und einer perfekten Bürokratie. Die einzelnen Abteilungen der Organisation identifizieren das Böse, bewerten „Kosten und Nutzen“ einer verdeckten Operation und schreiten dann zur Tat. Dabei erzählt sie ihre Lebensgeschichte als eine Verquickung mit den Aktivitäten der Organisation, und was sie erzählt und wie sie es erzählt, das ist – fast zu perfekt um wahr zu sein. Widersprüche zu anschließenden Recherchen ihres Therapeuten werden mit dem Hinweis auf die perfekten Vertuschungsmethoden der Organisation beiseite gewischt, andere räumt sie ein. OMNES MUNDUM FACIMUS ist das Motto der Organisation: „Wir alle machen die Welt.“ Daraus ergibt sich auf der einen Seite eine VErantwortung für jeden Einzelnen, ebenso aber auch die Frage nach der Wahrnehmung der Welt.
So drehen sich die Schilderung abenteuerlichster Einsätze und abgefahrenster Gadgets beim Zuhörer immer um die Frage: sagt sie die Wahrheit? Oder ist hier ein schwer schizophren gestörter Geist am Werke, der sich die Welt so zusammenreimt, dass seine Traumata verarbeitet und „erklärt“ werden können? Ist Jane Charlotte eine durchgeknallte Spinnerin, oder ist die Wahrheit so fantastisch, dass zwei Geheimorganisationen „Gut gegen Böse“ miteinander spielen?
Und vielleicht fragt sich der Zuhörer auch: warum will ich, dass sie die Wahrheit spricht? Weil diese Welt der Verschwörungen und der Gegenverschwörungen einfach so viel besser das erklärt, was wir Realität nennen? Oder wünschen wir uns so sehr, dass tatsächlich irgendjemand aktiv (ja, vielleicht sogar vorbeugend) das BÖSE bekämpft?
Matt Ruff erzählt nicht einfach eine Räuberpistole mit ein paar Twists, wunderbaren Twists. Für den Zuhörer ergeben sich Fragen, wie etwa: an welchem Punkt darf man den „Bösen“ mit einem gezielten Schuss aus der NT-Waffe niederstrecken? Sobald er eine Gefahr für seine Umgebung darstellt, oder erst dann, wenn er etwas verabscheuungswürdiges getan hat? Kosten/Nutzen?
Und dabei ist Ruff eben der wunderbare Geschichtenerzähler, sind es perfekt arrangierte und komponierte Geschichten, die er Charlotte erzählen läßt. Grundplot, Spannungsaufbau, Entspannung, Klimax, Auflösung. Immer wieder neu, aber nie wiederholend langweilig. Dass bei einem solchen Aufbau an Gesamtspannung das Ende nicht ganz das hält, was der Leser in seiner Sehnsucht nach „mehr, mehr, mehr von“ erwartet, ja, verlangt, dass sei ihm nachgesehen – der Schluss ist deswegen beileibe nicht schlecht.
Ruff spielt auf vielen Ebenen mit seinen Protagonisten und den Erwartungen des Zuhörers, und man liefert sich ihm gerne aus.
Das Hörbuch trägt der Konstruktion der Geschichte vorbildlich Rechnung: den Rahmen setzt Heiko Deutschmann als Erzähler. Doch getragen wird das Buch von den Schilderungen der Jane Charlotte, gesprochen von Jasmin Tabatabai. Sie erzählt teilweise lakonisch, aber immer authentisch die unglaubliche Lebensgeschichte dieser anscheinend Durchgeknallten, nur kurz unterbrochen von Zwischenfragen des Gefängnispsychiaters (wenig um Einsatz: Oliver Brod). Und schnell wird ihre Stimme zu der von Jane Charlotte. Die wirklich runde Übersetzung von Giovanni und Ditte Bandini ist stimmig: das, was Ruff hier aufgeschrieben hat, ist gesprochenes Wort, es gibt keinen Anflug papierener Schwere – was Schriftsteller ja manchmal mit sehr langen Monologen anstellen.
Die gekürzte Fassung läßt zwar nichts vermissen, aber eigentlich würde man am Ende „Mehr, mehr“ gerne davon haben, daher für die Kürzungen, auch wenn sie nicht auffallen, dennoch ein Abzug in der B-Note.
Matt Ruff: BAD MONKEYS. Gekürzte, teilweise inszenierte Lesung von Jasmin Tabatabai, Heiko Deutschmann, Oliver Brod. 5 CDs, 368 Min. Der Hörverlag.