Photo by Elijah O'Donell on Unsplash

Liebe Leute, irgendwann ist auch mal gut. Seitdem die ehemalige Verlagsgruppe Rhein-Main, jetzt VRM, das DARMSTÄDTER ECHO übernommen hat, hadere ich jeden Monat damit, dieses Abonnement aufrecht zu erhalten. In kleinen Dosen liefert mir die Zeitung zwar noch Informationen, die ich glaube zu brauchen, de facto macht das aber nur einen kleinen Teil des Umfangs aus, den ich bezahle. „Lokaljournalismus“ als Königsdisziplin und seine Bedeutung bekommen wir auf jeder Verlegertagung als Sonntagsrede serviert, daneben werden dann aber Redaktionen ausgedünnt, falsche Schwerpunkte gesetzt und somit alles getan, um ja keine Neu-Abonnenten zu bekommen. Denn relevant und wichtig für das örtliche Zusammenleben kann man nur einen rudimentären Prozentsatz der Berichterstattung finden – meistens die unreflektierte Nacherzählung von Ereignissen, gerne Seniorennachmittage oder Vereinsgedöns. Kommunal- und Lokalpolitik wird nur in Ausnahmefällen kompetent begleitet, ansonsten eher nur abgebildet – und zwar anhand offizieller Termine, was Politikern Gelegenheit bietet, Dinge in der Versenkung verschwinden zu lassen, indem es dazu einfach keine Pressetermine gibt. Andererseits gibt es dubiosesten Bürgerbewegungen die Chance, ihre noch so absurden Anliegen mit Hilfe ordentlicher Pressearbeit ganz oft ins Blatt zu bringen.

Dieses Wochenende: Nix aus meinem Heimatort, immerhin 16.000 Einwohner, im Blättchen – das schafft das dämliche Anzeigenblättchen auch. Dafür eine Seite darüber, wie jetzt die Freibäder saisonfit gemacht werden. Der arme Redakteur muss dann, wie jeden Tag, nicht nur einen Artikel schreiben, sondern auch einen (zumeist vollkommen überflüssigen) Kommentar – in dieser Manie knüpft das Blatt an die Regelung der Tagesthemen an. Kommentieren auf Teufel komm raus, egal ob es was zu kommentieren gibt. So auch diesmal: im Kommentar steht nichts, was nicht auch ausführlich im Artikel vorgekommen wäre.

Symptomatisch für die Entfernung, die die „Lokalzeitung“ zu meiner lokalen Umgebung entwickelt hat, sind die erzdämlichen Veranstaltungs-Highlights, die auf einer ganzen Seite präsentiert werden. Denn sie spielen an folgenden Orten, in Klammern die Entfernung zu meinem Wohnort

  • Wiesbaden (53 km)
  • Bad Schwalbach (75,3 km)
  • Mainz (51 km)
  • Mainz (47 km)
  • Frankfurt (48 km)
  • Mainz (51 km)
  • Darmstadt (Hurra, 14 km)
  • Wiesbaden (53 km)

Bei dem Darmstädter Event handelt es sich um die 1. Darmstädter Yoga-Convention, eine kommerzielle Veranstaltung einer Kette von Fitness-Studios, für ab 89 Euro. Wahrscheinlich fanden die Redakteure einfach Yoga geil. (Womit kurz das Thema Journalisten lieben „Journalistenthemen“ angerissen wäre).

Ich habe nun das Pech, am südlichen Ende des „Verbreitungsgebietes“ der Zeitungen der VRM-Gruppe zu liegen. Das war zu früheren Echo-Zeiten, vor der Übernahme, manchmal auch schon schlecht, aber dennoch war es nicht so, dass am Ende der Kreisgrenze eine Wüste begann. Heute ist das so: Bensheim liegt in gleicher Entfernung wie Darmstadt, aber davon bekomme ich nichts mit. Straßensperrungen in Zwingenberg betreffen mich mehr als Meldungen aus dem östlichen Landkreis nahe Bayern. Für Veranstaltungen wäre ich so schnell wie in Frankfurt, Mainz und Wiesbaden auch in Mannheim oder Heidelberg. Stattdessen quält mich das Blatt manchmal gar mit Hinweisen auf „Highlights“ in Alzey!

Lokal: am Arsch.

So, und wofür bezahle ich sonst noch so 39,90 Eur/Monat? Für den sinnlosen, auf jeden Fall zumeist inhaltlich vollkommen uninteressanten „Wochenende“-Teil, der zwar „Leben“ heißt, journalistisch aber eher halbtot vor sich hinvegetiert. Grandioser Aufmacher ein Text übers putzen. Hier. Da gibt es den

Stephan Grünewald. Er ist Psychologe und Mitbegründer des Marktforschungsinstituts Rheingold, das seit Jahren das Putzen erforscht.

Das Unternehmen berät Beiersdorf, Johnson&Johnson, Frosch und Weleda auf dem Putzsektor. Was ich jetzt hier so hinschreibe, nicht aber in dem Artikel steht.

Zurzeit putzen die Deutschen viel. Dass die Putzfrequenz der Deutschen in unsicheren Zeiten steigt, fand Rheingold bei tiefenpsychologischen Untersuchungen heraus. „Da dringt unkontrolliert etwas ein. Wir kompensieren das mit dem Putzen“, sagt Grünewald. Dazu rüstet uns die Reinigungsmittelindustrie mit Sprühpistolen aus. „Man bewaffnet sich mit Pistolen gegen Bakterien, um das Böse im Haushalt zu vernichten, solange man gegen das Böse in der Welt nichts ausrichten kann“, sagt Grünewald. „Wir befinden uns im latenten Kriegszustand.“

OMG. Wir werden alle sterben.

Ich kann nicht den ganzen Artikel zitieren. Da ist vom „General“ die Rede, wenn Beziehungen kriseln, und von „Mr. Propper“, der ausreicht, wenn die Schwiegermutter kommt. Von männlichem und weiblichem Putzen. Und am Ende noch von einer anthroposophischen Herangehensweise.

 Je höher der Bildungsgrad, desto schlechter putzen die Leute. Überhaupt mangelt es an grundlegender Putz-Erziehung, beklagt Völkerkundlerin Katharina Zaugg: Kaum ein Büro-Arbeiter oder Digital Native, der mit Computern statt Bauklötzen aufwächst, wisse, wie man die Dusche sauber macht oder den Fettfleck aus dem Sofa kriegt.

Ich gehe davon aus, zumindest in diesem Jahr, keinen sinnloseren Text gelesen zu haben. Es fehlt nur noch der Aspekt des homöopathischen Putzens mit Hilfe von Globuli. Weshalb ich mit Hilfe von Bauklötzen Putzen lernen soll erschließt sich mir weniger als nur ein bisschen, und sobald ich länger über den Artikel nachdenke, bekomme ich Kopfschmerzen. Aber dagegen hilft sicher, einen Wischmop auf dem Kopf zu balancieren. Hier will mich das VRM-Blättchen doch auf den Arm nehmen. Beim letzten Absatz bin ich mir sicher:

 Putzen sei das beste Achtsamkeitstraining, schwärmt Raumpflegerin Katharina Zaugg, die in Seminaren „achtsame Raumpflege“ lehrt. Für sie ist Putzen auch Wellness. Körperarbeit, Atmung, Tanz. Sie empfiehlt gar, neue Putzgeräte in einem Ritual einzuweihen. „Balancieren Sie einen neuen Besen auf dem Kopf, schon haben Sie eine andere Beziehung zu ihm. Er wird Ihr Besen fürs Leben und nicht nur ein ein Lebensabschnittsbesen.“

 

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Ein Gedanke zu „VRM: Aversionen gegen mein Lokalblatt und das Gejammere über den Niedergang des Journalismus“
  1. Hi Michael,

    alles richtig, was du schreibst. Das Gelaber von den Verlegern und Chefredakteuren bzgl. Relevanz, Relevanz, Relevanz ist unerträglich. Sonntagsreden ist euphemistisch. Aber der richtige Begriffe. Man könnte aber auch – politisch nicht korrekt – gequirlte Kacke sagen.
    Das Echo ist leider sehr irrelevant geworden – und die Übernahme durch die Mainzer ist der Todesstoß. Was sollen wir machen? Wenn es uns schon so geht, die den Beruf des Journalisten irgendwann einmal geliebt und für wesentlich für den Erhalt unserer Demokratie erachtet haben? Es bleibt: Verzweiflung.

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