Es gibt wahrscheinlich keine Woche, in der der Mangel an Wohnraum und Wohnungen und überhaupt nicht Thema einer Meldung, eines Wahlkampfbeitrages oder eines hintersinnigen Artikels ist. Grundfeststellung: „Wir leben auf zu viel Fläche“. Dass ich das „Wir“ verabscheue, das sei mal dahingestellt.
Beispiel, und ja, ich kann nicht umhin mich an ihr abzuarbeiten: Ulrike Hermann, Heroine der Degrowth-Bewegung („1978 war auch schön“) in ihrer taz-Kolumne „Neubau ist keine Lösung“. Schon die Unterschrift hat neben einer steilen These schon den Hinweis auf den richtigen Weg:
Wer eine neue Bleibe sucht, ist oft verzweifelt. Trotzdem: Es gibt in Deutschland nicht zu wenig Wohnraum. Er ist nur falsch verteilt.
https://taz.de/Wohnungsnot-und-Klimaschutz/!5898548&/
Dass es nicht zu wenig Wohnraum gäbe, das lass ich mal dahingestellt.
Das mit der falschen Verteilung: chronische Linke wie Hermann können natürlich nur so argumentieren:
Im Durchschnitt verfügt jeder Bundesbürger über 47,4 Quadratmeter Wohnraum. Das ist sehr üppig, die Flächen sind nur falsch verteilt. Gutsituierte wohnen großzügig, während Arme oder junge Familien oft beengt leben. Dieses Problem ist altbekannt, wurde aber nie gelöst, obwohl ständig weitere Wohnungen entstehen. Neubau allein hilft offenbar nicht – ruiniert aber die Umwelt.
ebd.
Wie so oft liegt der Hase im Pfeffer, wenn da „im Durchschnitt“ steht und niemand genauer auf die Zahlen schauen mag – weil Klassenkampf gut klickt und Einladungen in Talkshows macht. Hier der Durschnitt mal aufgedröselt:
Ist es jetzt wirklich wirklich ein Reichtums-/Armutsproblem, sind die Saarländer so viel reicher als die Hamburger? Ach was.
Wie immer stellt sich bei Hermann die Lösung autoritär, vielleicht totalitär da, wenn man, nicht ihrer Prämisse, nicht mehr bauen soll oder darf:
Richtig wäre daher, Wohnraum gerecht zu verteilen. Dieser Vorschlag ist radikal, aber eine andere Lösung bleibt nicht, wenn der Flächenfraß enden soll.
ebd.
Wie immer endet hier schelmisch, verschmitzt grinsend der Debattenbeitrag der Bankkauffrau (womit sie ja inzwischen nett kokettiert). So, wie soll man sich das vorstellen? Landverschickung in die Flächenländer? Wohnraumzuweisung a la DDR? Enteignung privaten Wohnraums? Zwangsuntervermietung?
Chronisch dirigistisch
Das Umweltbundesamt kann ich nicht mehr wirklich als neutrale Quelle von Informationen wahrnehmen – hier der Informationsartikel zu Wohnfläche (als Umweltproblem) Festgehalten wird alarmistisch:
ebd
Die Wohnfläche pro Kopf nahm in Deutschland zwischen 2011 und 2021 von 46,1 Quadratmetern (m²) auf 47,7 m² zu – trotz Zuwanderung, die nur vorübergehend in den Jahren 2015 und 2016 zu einem kleinen Rückgang der Pro-Kopf-Wohnfläche führte. Ein Grund dafür ist die immer noch zunehmende Versorgung mit Eigenheimen und großen Wohnungen obwohl die Haushalte im Mittel immer kleiner und vor allem Ein-Personenhaushalte immer häufiger werden
Dazu gibt es dann diese Grafik, um die alarmierenden Zahlen zu unterstreichen:
An dieser Stelle möchte ich mal auf diesen guten Webbeitrag von MrWissen2Go für NDR Zapp verweisen:
Ein Blick auf die Grafik, wenn die Skala nicht bei 40 (qm) beginnt, sondern komplett bei 0:
Ist da mit Bloßem Auge die Veränderungen von 2011 bis 2021 zu erkennen. Ja. Wird einem das dramatisch vorkommen? Nein.
Auch das Umweltbundesamt verzichtet darauf, regionale Unterschiede in Überlegungen einzubeziehen – außer im Wohnungsbestand. Der tatsächlich irritierenderweise auch in den Bundesländern wächst, die Bevölkerung verlieren (!) (Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Saarland)
Festgestellt wird vor allem das sozial unerwünschte Verhalten der Alten:
Ältere Haushalte belegen viel Wohnraum (…) Der Grund dafür ist, dass Eltern nach Auszug der Kinder oft in der großen Familienwohnung bleiben. Vor allem Wohnungseigentümer sind wenig geneigt, nach der Familienphase in eine kleinere Wohnung zu ziehen
ebd
Pfui mag man da sagen. Wie können die nur.
Analytischer wird es heute nicht mehr
Volkswissenschaftler für Dirigismus
Was Ulrike Hermann nur verdruckst sagen möchte, das hält Anton Brokow-Loga für eine wissenschaftliche Position. (Anton Brokow-Loga forscht an der Schnittstelle von Urbanistik, Politikwissenschaft und Transformationsforschung. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar und Teil des I.L.A.-Kollektivs.)
In seinem Artikel, den ich mal komplett lesen konnte (heute hinter Paywall) propagiert er unter anderem eine Fehlbelegungsabgabensteuer für Menschen, die auf zu viele Quadratmetern leben.
Wie Hermann mag er an die politische Durchsetzbarkeit keinen Gedanken verschwenden, und ich stelle mir nur vor, wie vier Wochen nach der Beerdigung des Opas die Oma einen Steuerbescheid erhält, weil sie auf zu vielen Quadratmetern lebt. Heißa, da wird sich aber eine politische Partei Freunde machen.
Und das vielleicht sogar in einer Gegend, in die niemand ziehen will, aber halt: im Durchschnitt wohnen die Deutschen auf zu vielen Quadratmetern. Und Durchschnitt ist King.
Dirigismus aber anders
Übrigens: wem solche autoritären Gedankenspiele gefallen, der darf die mal aus anderer Richtung denken: ein Ende des Zuzugs von Menschen nach Deutschland so lange nicht genug Wohnungen vorhanden sind. Aufschrei: das ist ja reaktionär, was ist mit gewollter Migration, mit Asyl und Flüchtenden? Tja, immer erstmal nachdenken bevor man nach dem Staat ruft.
Constructive
Und ja, ich denke dass Wohnungsnot Lösungen braucht. Das ist 5G an jeder Milchkanne, Glasfaser in jedem Flecken, Steuervorteile für ländliche Nahversorger und Lokale, Sozialräume auf dem Land, Förderung von Vereinen und Ehrenamt. Co-Working-Spaces auf dem Land. Das 15 Minuten-Dorf – in 15 Minuten bei Einkaufsgelegenheiten, Restaurants, Cafes und anderen Plätzen. Und vielleicht maximal 30 Minuten bis Theater, Kino, Museen.
Viele Diskutieren darüber, die „Innenstädte“ wieder attraktiver zu machen. Das ist für mich der falsche Ansatz. Es geht um lokale Einheiten, auch in Stadtvierteln.
Und immer daran denken: Der Durchschnitt ist der Feind der Wahrheit.
Foto von Max Böttinger auf Unsplash