Diese Wochen sind dramatische Wochen für Europa, und für die Frage, wie wollen wir zukünftig miteinander umgehen. Es geht um Griechenland, aber auch irgendwie auch um den ganzen Rest, allerdings nicht so, wie das Syriza sieht, dass nämlich die tapferen Hellenen den Rest der Europäer stellvertretend vom Joch des „Neoliberalismus“ und so weiter befreien. Es geht darum, im vorgegebenen politischen und wirtschaftlichem Rahmen einer Situation zu begegnen, die es eigentlich nach den Regeln der Europäer nicht hätte geben dürfen.

Allerdings ist es ja nie sehr klug, den Blick nur zurück zu werfen. Und schon gar nicht, wenn man unter Zeitdruck steht – was einigermaßen offenichtlich der Fall ist. Meine 2 Cent zur Debatte:

Die Medien in Deutschland präferien keineswegs nur einen Weg zur Lösung, bieten vor allem ein breites Spektrum an Erklärungen und Prognosen, und von der scharfen Verurteilung der Griechen bis zur Verdamnis der EU und der europäischen Politiker ist wirklich alles dabei. Einen oft beschworenen „Mainstream“ habe ich nicht gefunden, wenn auch bei klarer Verortung mancher Blätter klare „Präferenzen“ zu sehen sind. Manch eine Kolumne kommt dabei sehr heftig daher, doch darf sich „das Internet“ darüber ernsthaft mokieren? Starke Worte, rhetorische Axt und lautstarke Meinung sind nunmal kein Privileg der „neuen Medien“. (Ich lasse nur journalismusähnliche Angebote wie BILD etc. mal außen vor – hört auf, das als Journalismus zu bezeichnen …)

Rückschau

Die „neue“ griechische Regierung spielt immer wieder die zurückblickende Karte, in dem dann eifrig die „Rettung“ von 2012 und die Frage nach deutschen Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg miteinander vermengt werden. Und ja: die letzte „Griechen“-Rettung war fragwürdig, oder gar ein Riesenfehler – denn Europa hatte sich gegenseitig das Versprechen gegeben, einander im Zweifel auch lieber nicht „auszukaufen“, wenn eine Zahlungsunfähigkeit droht. Denn natürlich lag es in der Verantwortung von Kreditgebern, den Griechen weiter Staatsanleihen abzukaufen, auch wenn jeder Analyst sehen konnte, dass diese nicht tragfähig sind. Und eigentlich hätte man diese Gläubiger mit ihrem Problem alleine lassen können – oder durch Staatsintervention zwar die Banken retten können, aber um den Preis der Teilverstaatlichung: wer Geld bekommt, muss dafür Geschäftsanteile hergeben. Ähnlich wie die Commerzbank wären dann halt eine Reihe von Banken inzwischen in Staatsbesitz, aber hey: so ist das in einer idealen Welt nunmal. Wer Fehler macht, der muss die Konsequenzen tragen. Stattdessen wurden tatsächlich die Banken von der Bürde der griechischen Staatsanleihen befreit und können so heute weitgehend gelassen der Krise zusehen. Das war ein Fehler. Und hat den Griechen kein bisschen geholfen.

Allerdings ist es nicht so, dass dieses damals investierte Geld niemals in Griechenland angekommen wäre – allerdings tat es das weit vor der Schuldenkrise, nämlich in Form der später ausfallgefährdeten Kredite. Geld floss also schon nach Griechenland, und die Frage, was damals damit geschehen ist, die könnte man stellen.

Varoufakis hat immer wieder die Fehler der Griechen-Rettungspolitik in der Vergangenheit betont, darüber doziert, geschrieben, geredet. Und er hat wohl meistens recht, das räumen gerade „Neoliberale“ ein, die schon damals gegen die gebrochenen Nichteinmischungsversprechen der anderen EU-Partner gewettert und geklagt hatten.

Das Problem ist nun: Recht haben bedeutet nicht, dass man seine Politik auch umsetzen kann. Politik dreht sich nur zu einem kleineren Teil um „Recht haben“. Politik ist in einem gegebenen Rahmen die Frage nach dem Möglichen. Der Ziele. Der Mittel. Und da stellt sich nach Monaten der Verhandlungen: was will Griechenlands Regierung? Die Rückzahlung vieler Staatsschulden ist bereits jetzt zu einem großen Teil auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Aus politischen Gründen ist es aber vielen anderen europäischen Ländern nicht möglich, der eigenen Bevölkerung einen griechischen Schuldenschnitt zu verkaufen. Was bedeutet das? Dass man über die Konditionen verhandeln muss, die auf einen de facto Schuldenschnitt hinauslaufen, so aber nicht heißen dürfen. Zwischendurch sah es nach solchen Verhandlungen aus, inzwischen nicht mehr. Ist das aus griechischer Perspektive politisch klug?

Das Herz schlägt links

Dass die Regierung Tsipras anti-deutsche Rhetorik kultiviert, von „Terrorismus“ spricht und auch ansonsten den anti-kapitalistischen Kampf führt, das hilft jedenfalls nicht dabei, irgendwelche Lösungen zu finden. Das finden die Linken hierzulande toll, und nehmen dafür in Kauf, dass die ohnehin miserable Situation der Griechen noch fataler wird. Aber dass diese nicht mehr wissen, wie sie überleben sollen, ist nur ein kleiner Preis für den heldenhaften Kampf gegen den bösen Kapitalismus. Den ja andere bezahlen. Linkssein in der saturierten deutschen Wohlstandsgesellschaft bedeutete schon immer häufig, sich mit dem schweren Schicksal anderer Völker im Kampf für eine bessere Welt abzufinden. Da waren Titos Jugoslawien, Kuba, Nicaragua und wie sie alle heißen immer hochwillkommene Gegenmodelle zum gehassten eigenen System – so lange man nicht selbst unter den dortigen Bedingungen zu leben hatte.

Demokratie

Ganz enorm auf die Palme bringt mich allerdings dieser Punkt: das griechische Verhalten sei das demokratischere, dass den anderen Europäern mal zeigt, wie Demokratie (ja in Griechenland „erfunden“) zu gehen hat. Seht her, hier eine Volksabstimmung. Seht her: hier ändert ein Regierungswechsel noch etwas.

Dieses „Hier Demokratie – da Eurodiktatur“-Gefasel ist schwer erträglich. Ich schaue mir zuerst mal die Parlamentswahl 2015 an: Syriza erhält 36,34 Prozent der abgegebenen Stimmen (die Höhe der Wahlbeteiligung konnte ich dem Eintrag nicht entnehmen, in Griechenland gibt es zwar Wahlpflicht, aber keine Sanktionen bei einem Verstoß gegen diese Pflicht …).

Das macht 99 der zu vergebenden 300 Stimmen im Parlament. Nach dem griechischen Wahlrecht erhält die stärkste Parte weitere 50 Sitze, so kam Syriza auf 149 Sitze, verpasste damit die absolute Mehrheit an Sitzen nur knapp (bei, zur Wiederholung, „nur“ 36,34 Prozent der erhaltenen Wählerstimmen). In Deutschland hätte eine ähnliche Regelung übrigens bei der letzten Bundestagswahl dazu geführt, dass CDU/CSU alleine regieren könnten.

Schon am nächsten Tag fällt Syriza die Entscheidung, mit ANEL eine Koalition einzugehen – eine wohl zu Recht als „rechtspopilistisch“ eingestufte Partei, Euro-feindlich und so treffen sich links- und rechtsaußen. Ich kann von hier aus nicht beurteilen, ob Syriza seinen Wählern jemals vorher angedeutet hat, mit ANEL nach der Wahl zusammenarbeiten zu wollen. Ich kann es mir nicht vorstellen. Es ist ein bisschen so, als würde DIE LINKE hierzulande vor einer Wahl ankündigen, im Zweifel auch mit der NPD zusammen zu regieren, wenn es denn die Gelegenheit dazu gibt.

ANEL hatte übrigens 4,75 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, das gibt insgesamt einen Anteil von 41,06 %  der abgegebenen Stimmen für die neue Koalition.

Ich finde das demokratisch, akzeptabel, nach den Spielregeln. Gut so. Aber in gar keiner Weise irgend einer anderen Wahl in der EU „demokratietheoretisch“ überlegen, mit höherer Legitimität als anderswo erfüllt. Leider ist das aber der vorherrschende Tonfall.

Und dann kamen die Monate der Verhandlungen, zu denen ich viel schreiben könnte, wenn ich die Zeit dafür hätte.

Am letzten Tag, mit dem Ablauf verschiedener Fristen, kündigte Alexis Tsipras ein Referendum über die Vereinbarungen mit der EU zu weiteren Behandlung der griechischen Schulden an. Das innnerhalb nur weniger Tage über die Bühne gehen soll. Das über die Annahme eines Vetragstextes entscheiden soll, der zum Zeitpunkt der Abstimmung gar nicht mehr auf dem Tisch lag.

Jubelstimmung überall: Seht her: Demokratie. Das Volk wird gefragt. Supersache.

Nein.

Diese Aktion von Syriza war übelster Missbrauch eines demokratischen Instruments, und es ist geeignet, dem Demokratiegedanken europaweit Schaden zuzufügen. Denn wer mit dem einfachen Satz „Wo Abstimmung ist ist Demokratie“ hausieren geht, der hat in Wirklichkeit von Demokratie nichts verstanden. Abstimmungen gehören dazu, in vielen Ländern, aber es gibt Regeln, auf die man sich europaweit geeinigt hat.

Der Europarat teilte allerdings im Vorfeld der Abstimmung mit, dass das Referendum nicht den vom Rat festgelegten Standards entspreche. Denn das Ziel der internationalen Staatenorganisation ist unter anderem die Sicherung demokratischer Grundsätze. Daniel Höltgen, Sprecher von Europarats-Generalsekretär Thorbjörn Jagland, nannte dafür drei Gründe: So müssten den Wahlberechtigten die zur Abstimmung stehenden Fragen mindestens zwei Wochen vor dem Referendum vorliegen, „das war hier offensichtlich nicht der Fall“. Die Fragen müssten zudem „sehr klar und verständlich“ formuliert sein; auch das sei derzeit vermutlich nicht umgesetzt. Wegen der kurzen Ankündigungsfrist sei es zudem unmöglich, internationale Beobachter zu entsenden, die bei solchen Referenden empfohlen würden. (tagesschau.de)

Man kann noch viel früher ansetzen: darf eine Regierung oder parlamentarische Mehrheit einfach mal so ein Referendum ansetzen? Wer hat das Initiativrecht, und wer bestimmt die Formulierung? Wie wird sichergestellt, dass die Frage klar formuliert wird und dass die Bürger die Tragweite ihrer Entscheidung kennen? Wie kann über die Frage ein politischer Prozess zu Stande kommen, bei dem verschiedene Fraktionen Argumente austauschen und für Ihre Position werben?

Die Schweizer haben eine unglaublich lange Erfahrung mit Volksabstimmungen, und ich nehme mal an, dass sie sich ziemlich viele Gedanken gemacht haben, bis sie die Regeln für eine solche Abstimmung fixiert haben.

Schauen wir uns das mal an: bei Abstimmung auf Bundesebene gibt es nur drei Wege, an ein Referendum zu kommen:

  • über eine Volksinitiative, mehr als 100.000 Stimmberechtigte legen eine Verfassungsänderung vor, das Parlament darf einen Gegenentwurf machen, der dann auch zur Abstimmung gestellt wird.
  • Obligatorisch ist die Abstimmung bei einer vom Parlament beschlossenen Verfassungsänderung.
  • Das fakultative referenum kommt zu Stande, wenn 50.000 Stimmberechtigte (oder 8 Kantone) über ein bereits vom Parlament verabschiedetes Gesetz bzw. völkerrechtsverbindliche Verträge eine Abstimmung fordern.

Keine Regierung, keine Parlamentsmehrheit hat die Möglichkeit, irgend etwas zu Abstimmung zu stellen – klarer Fall: für Entscheidungen ist in allererster Linie das Parlament zuständig. In Griechenland versuchte die Regierung … (ich weiß wirklich nicht, welchen Zweck das Referendum erfüllt hat).

Dann gibt es den Ablauf des Referendums, und entscheidend dafür sind: Fristen. Und Informationen.

Die Stimmberechtigten erhalten frühestens vier, spätestens drei Wochen vor dem Termin die Abstimmungsunterlagen, welche in der Regel aus den Stimmzetteln, dem Stimmrechtsausweis, den Stimmcouvert und den Abstimmungserläuterungen (umgangssprachlich Abstimmungsbüchlein).[20] In diesem ist der Wortlaut der zur Abstimmung stehenden Vorlage, die Argumente der Befürworter und Gegner, sowie die Meinung der jeweiligen Exekutive (also: Gemeinderat, Kantonsregierung oder Bundesrat) und die Resultate der entsprechenden Beratungen und Abstimmungen in den jeweiligen Legislativen (also: Grosser Gemeinderat, Kantonsrat, National- und Ständerat) enthalten. (wikipedia)

Niemand soll über etwas abstimmen müssen, zu dem er keine Chance hatte, sich umfassend zu informieren.

Nichts davon bei diesem griechischen Referendum.

Bitte: hört auf, hier den Kampf zwischen Demokratie und Eurokratie zu beschwören – das Abhalten von willkürlichen Referenden gehört leider in das Repertoire nicht-demokratischer Staaten – so wie das hier abgelaufen ist, mache ich mir über den Zustand der griechischen Demokratie ernste Gedanken. Und natürlich darüber, was hierzulande an falschen Vorstellungen über Demokratie und gute Politik in Umlauf sind.

 

2 Gedanken zu „Zwei bis drei kurze Anmerkungen zu Griechenland“
  1. Sorry, aber um die üblichen deutschen Griechen-Berichterstattungs-Klischees aufzuwärmen, muss man nicht so lang schreiben.
    Vielleicht sollte man sich an ausgewiesene Kenner halten, um sich zu informieren, bevor man schreibt. Mit 2012 hat es nicht angefangen.

    Der Autor hat die ökonomischen Hintergründe offenbar nicht verstanden. Gut und kurz erklärt von Ulrike Hermann:
    https://www.youtube.com/watch?v=galWdGDbRB8

    Ausgewiesener Kenner der Zusammenhänge und der Partei Syriza ist Robert Misik.
    http://misik.at/

    Neuerdings gibt es kritische Berichterstattung auch in der Süddeutschen.
    http://www.sueddeutsche.de/kultur/zorneines-soziologen-mexikaner-europas-1.2582666-2

    Im übrigen sollte man sich u.a. vielleicht mal die Rolle des CIA in Südamerika vergegenwärtigen, bevor man sich so gemütlich einrichtet in diesen modischen antilinken Ressentiments.

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