Um eine erregungsbereite Öffentlichkeit zu erreichen stellt es sich als vorteilhaft heraus, möglichst zwei Reizworte miteinander zu verknüpfen. Denn eines alleine scheint an Strahlkraft zu verlieren. Also nehmen wir mal: #amazon und #plastikmüll. Zwei Superaufregerthemen, jedenfalls in einer großen Blase.
Und um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen hilft, na was? Das alte Stilmittel „Studie“. Schon wird aus einer x-beliebigen Meldung eine „wissenschaftliche“ oder zumindest „wissenschaftsähnliche“ Meldung.
So betrieb es die mir bis dato unbekannte Umweltschutzorganisation „Oceana“. Und die taz sprang gerne auf und bei. Allerdings wird das Fazit am Ende so aussehen: selbst die taz merkt, dass das eher keinen Bericht wert war.
Hier steht auch „Bericht“. Oceana sieht das anders. Die „Fakten“:
211 Millionen Kilogramm Kunststoffverpackungen hat allein Amazon im letzten Jahr verschickt, so das Ergebnis eines neuen Berichts der Meeresschutzorganisation Oceana. Insgesamt beläuft sich der Plastikmüll aus Verpackungen des Internethandels demnach auf über 900 Millionen Kilogramm im Jahr.
ebd.
Der folgende Absatz – ganz ehrlich, hat angesichts des Namens und des Sitzes des mit einer Studie beauftragten Institutes fast so etwas wie ein Lächeln bei mir erzeugt:
Für den Bericht hat Oceana eine Studie beim Marktforschungsinstitut Mordor Intelligence mit Sitz im indischen Hyderabad in Auftrag gegeben.
ebd.
Hihihi. Mordor Intelligence. Na gut, mag auf Hindi irgendwie anders klingen. Und was haben die Intelligenten gemacht? Was ist Kern der Studie?
Dieses (Institut, Anm.d.Verf.) schätzte, wieviel Plastikverpackungen die E-Commerce Branche in den wichtigsten Amazon-Märkten einsetzt. Danach ermittelte Oceana die Marktanteile Amazons in den einzelnen Ländern. Die Marktanteile beziehen sich dabei auf alle über die Amazon-Plattform verkauften Waren. Für die Berechnung des Amazon-Mülls nahm Oceana an, dass der Anteil des Plastikverpackungsmülls dem Marktanteil entspricht.
ebd.
Es beginnt bei „schätzte“ und hört bei der „nahm Oceana an“ nicht auf.
Wir haben hier also eine Dreisatz-Studie: Plastikabfall (geschätzt) / Marktanteil = Menge des Abfalls zu Lasten von Amazon.
Kann man so machen, ist aber keines Berichtes wert. Denn: könnte es sein, dass Amazon sehr viel weniger Plastik einsetzt als seine Konkurrenten? Vielleicht ist das auch in jedem Markt unterschiedlich? Vielleicht ist auch die Qualität der Schätzung von Land zu Land unterschiedlich?
Ein einfacher Konter für Amazon:
Amazon hält diese Berechnungsmethode für falsch; der Plastikverbrauch sei „um mehr als 350 Prozent zu hoch angegeben“, sagte ein Sprecher des Konzerns, man verwende „etwa ein Viertel der in Oceanas Bericht geschätzten Menge an Plastikverpackungen“. Seit 2015 haben wir das Gewicht der Versandverpackungen „um mehr als ein Drittel reduziert und fast eine Million Tonnen Verpackungsmaterial eingespart“, so der Sprecher.
ebd.
Kann man dem qualifiziert widersprechen? Nicht mit Hilfe der Studie. Jetzt kommt eine Stimme, die auf den ersten Blick die Methode von Oceana legitimiert:
Bettina Rechenberg, Leiterin des Bereichs Kreislaufwirtschaft beim Umweltbundesamt, hält die Annäherung an den Plastikmüll über den Marktanteil hingegen für „nachvollziehbar und plausibel“.
ebd.
Ja, das könne man mal so machen. Allerdings nicht für Deutschland, denn da stößt die Mordor-Schätzung an ihre Grenzen. Oder ist unmöglich:
Zwar lassen sich die Zahlen – etwa für Deutschland – nicht direkt überprüfen, da hierzulande zwar Plastik-, Papier- und andere Verpackungen getrennt erfasst werden. Wo der Müll entstanden ist, im stationären oder im Online-Handel, wird dabei jedoch nicht ermittelt.
ebd.
Es fehlt also an der Schätzgrundlage Gesamtplastikmenge im Onlinehandel. Frau Rechenberg versucht aber auch, den Bericht irgendwie zu retten:
„Die Größenordnung des Verpackungsmülls für Deutschland kommt mir in dem Oceana-Bericht aber plausibel vor“, sagt Rechenberg, „die Zahlen widersprechen sich nicht mit unseren Befunden.“
ebd.
„widersprechen sich nicht mit unseren Befunden.“ Was ist das denn, abgesehen von der abenteuerlichen Satzkonstruktion: her mit den „Befunden“. Hier verlässt der Journalist sein Arbeitsgebiet und macht lieber mit #amazonbashing weiter:
Amazon zeigt sich in Sachen Nachhaltigkeit nur schleppend transparent. 2019 veröffentlichte der Konzern erstmals seinen CO2-Fußabdruck, wieviel Plastik eingesetzt wird, teilt er nicht mit. Die fehlende Transparenz sei ein Problem, so Anne Schroeer, Kampaignerin bei Oceana, denn „was man nicht erfasst, kann man auch nicht managen.“
ebd
Ob Amazon nicht erfasst, das weiß niemand. Sie veröffentlichen das nicht.
Jetzt wird dann mal weiter munter hin und her und hochgerechnet, immer dran denken: Amazon ist böse.
Oceana schätzt, dass 2019 mehr als 10 Millionen Kilogramm des Amazon-Verpackungsmülls in Gewässern landet. Dafür kombinierte Oceana die eigenen Daten mit einem Modell aus einer Studie aus dem Magazin Science. Oceana verwendete für die Modellierung das Szenario, bei welchem am meisten Plastik in Gewässer gelangt.
ebd,
Zur Relation: Amazon war nach der ersten Studie (die stimmen kann, aber nicht muss) für 211 Mio. Tonnen Plastikabfall verantwortlich, Amazon sagt, das ist um 350 Prozent zu hoch geschätzt, und jetzt gehen davon angeblich 10 Millionen Tonnen in Gewässer. Immer dran denken:
Oceana verwendete für die Modellierung das Szenario, bei welchem am meisten Plastik in Gewässer gelangt.
ebd.
Also: man nimmt eine Schätzung, die möglicherweise zu hoch liegt und dann ein Modell, das vom schlimmsten Fall ausgeht. Was bleibt da noch?
Die Meeresschutzexpertin Stefanie Werner vom Umweltbundesamt meint dazu: „Die Studie bestätigt frühere Studien: Der Trend ist, dass immer mehr Kunststoffprodukte – gerade auch Einweganwendungen wie Verpackungen – produziert werden und insbesondere infolge von unzureichendem Abfall- und Abwassermanagement und achtloser Entsorgung in die Umwelt und damit auch in Flüsse und Meere gelangen. Allerdings landet der Verpackungsmüll aus dem deutschen Onlinehandel mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Meer.“
ebd.
Aufgepasst: das hier ist der allgemeine Trend, unabhängig von Amazon.
Am Ende bleibt: „Studie“ aus Dreisatz gemacht, veröffentlicht, Aufmerksamkeit generiert, ohne dass ein echter Nährwert bleibt.
Apropos Transparenz: was zur Hölle ist „Oceana“?
Hier die Webseite https://oceana.org/
Es gibt Jahresberichte. https://oceana.org/publications/annual-reports
Im Report von 2019 fehlt die Seite zum Thema Finanzen, nach Inhaltsverzeichnis auf Seite 50, aber da ist das Board Of Directors in beeindruckender Mann- und Fraustärke abgebildet: https://oceana.org/sites/default/files/annual_report_2020_trimmed_mid-res.pdf
Immerhin: Im Report von 2018 gibt es einen Eindruck von Einnahmen und Ausgaben der Organisation, Seite 46 https://oceana.org/sites/default/files/oceana_annual_report_2018-2019_website.pdf
Danach gehen 25 Prozent der Einnahmen für die Kosten der Verwaltung und der Fundraising-Kampagnen drauf, alleine 16 Prozent als allgemeiner Verwaltungs-Overhead. Das ist, wenn man der Klassifizierung des DZI https://fundraising-knigge.de/tag/verwaltungskosten/ folgt im Bereich der angemessenen Kosten.
Oceana auf der Finanzenseite dann nicht mehr ganz so klar für 2019: https://oceana.org/sites/default/files/oceana_2019-12_audit_final_fs_2.pdf
Die Einnahmen sanken auf 40.689 Mio. Dollar – um rund 30 Prozent. Das muss beunruhigen.
(Die Ausgaben für Verwaltung und Fundraising sanken immerhin aber auch, auf 9.086 Mio Dollar. Es bleibt bei rund 22 Prozent Verwaltungskosten)
Um dem Abwärtstrend bei den Einnahmen etwas entgegenzusetzen: braucht es Öffentlichkeit. Und Aufmerksamkeit. Und Studien. Und Amazon. Und, klappt`s?
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