Ich bin ja ein echter Fan von vielen Formen des „neuen Journalismus“, aber nicht automatisch Fan von jeder Form. Eine dieser Formen ist der dumm-liberale Auftritt von „Tichys Einblick„, der ja alles andere als Journalismus ist. Ich weiß auch nicht, warum ich da ab und zu hinblicke, aber es muss die gleiche Faszination sein, die dafür sorgt, dass wir unwillkürlich beim Anblick eines Unfalls auf der Gegenspur langsamer werden oder uns Unglücke oder Katastrophen im TV ansehen (immer hoffend, dass doch niemand zu Schaden gekommen sein möge).

 

Immer gut für einen journalistischen Crash ist Bettina Röhl, jetzt auf der Webseite von Roland Tichy als Kolumnistin dilettierend.

In ihrem frischen Eintrag („Die Maut die sich traut,“ wie putzig) verteidigt sie wortreich die glorreiche Erfindung der Ausländermaut durch die CSU und die Exekution der wunderbaren Idee durch den Bundesverkehrsminister, natürlich mit dem schlagenden Argument, woanders müsse man ja auch zahlen. Putzig liest sich der Teasersatz

BETTINA RÖHL SIEHT KEINE DISKRIMINIERUNG DURCH DOBRINDTS MAUT FÜR AUSLÄNDER

Als ob Blindheit alleine ein Argument wäre.

Das Irritierende daran ist, dass die Webseite ansonsten jede Art von Steuererhöhungsdebatte, staatlichen Eingriffen an und für sich für sozialdemokratische Enteignungspolitik hält. Pfui ruft. Und jetzt auf einmal, weil aus der zweitklassigen Regionalpartei eine Attacke auf die Bergbewohner von Schweiz und Österreich kommt, die uns ja bei ihren recht teuren Autobahnbauten durch die Berge der Alpen abzocken, ist das eine klasse Sache. Auch vor Bürokratiemonstern wird sonst gerne gewarnt, etwa der Dokumentationspflicht für Arbeitszeiten beim Mindestlohngesetz (vollkommen berechtigt übrigens die Frage, wie anders Arbeitgeber denn ordentliche Lohnabrechnungen machen sollen) – aber dieses komplizierte Maut-Megamonster, dessen Komplexität vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass sie ja eine komplizierte KFZ-Steuer ablösen soll, dieses Ungetüm, dessen Verwaltungskosten ganz schnell einen Großteil der Einnahmen verschlingen wird, dieser in Gesetzesform gegossene Irrsinn, ja, der ist auf einmal prima.

Um das zu Begründen wird extrem viel Hirnverschlingung benötigt. Etwa hier:

Die österreichische Maut diskriminiert alle nicht österreichischen Autofahrer, die nach Österreich fahren. Denn schließlich zahlt jeder, der in Österreich auf der Autobahn fährt, die Maut. Aber von der österreichischen Maut profitiert exklusiv unter Ausschluss aller anderen Länder der österreichische Staat, also es profitieren alle Österreicher, jeder einzelne Österreicher von der österreichischen Maut und sonst niemand.

Das Geld fließt in den österreichischen Haushalt und aus diesem Haushalt werden die österreichischen Straßen, die österreichischen Kindergärten oder die österreichischen Staatstheater bezahlt oder subventioniert.

Wie auf der Webseite üblich ist die Kolumne mal wieder eine recherchefreie Zone. Denn natürlich fließt die Maut nicht in den Haushalt (wie übrigens die wahrscheinlich kurzlebige Infrastrukturabgabe auch nicht). Eingenommen wird das Geld von der ASFINAG, der „Autobahnen und Schnellstraßen Finanzierungs-Aktiengesellschaft“. Wie das mit der österreichischen Maut so ist, das kann man hier nachlesen http://www.asfinag.at/maut, wenn man den ein kleines bisschen Rechercheaufwand in das Produzieren von Meinungsbeiträgen stecken wollte.

Sollte Österreich die Maut nicht direkt dazu verwenden, die Kfz-Steuer niedrig zu halten, sondern für die Subventionierung der Salzburger Festspiele einsetzen oder der Skilifte, dann wäre das eine innerösterreichische Entscheidung, zu der sich das Land gewiss und in jedem Falle zu recht jede Einmischung von außen verbitten würde.

Äh, nein, dann gäbe es Stress von der EU. Seufz.

Der Rest der Argumentation ist, inklusive EU-Bashing, ebenfalls reichlich wirr, sonderlich zufrieden über Beistand aus dieser Ecke dürfte auch der Infrastrukturabgabenerfinder nicht sein.

Apropos EU-Bashing, ziemlich verwegen ist auch dieser Satz:

Glücklicherweise gibt es noch 28 gewachsene Strukturen in den Mitgliedstaaten, die sich dem Eurokratismus der sich weitgehend der öffentlichen Kontrolle  entziehenden (viel zu teuren) Brüsseler Behörden widersetzen. Nichts war schließlich schöner in Europa als die vielen unterschiedlichen, europäischen Kulturen.

Genau, nichts war schöner in Europa als sich alle paar Jahre in unterschiedlichen Konstellationen gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Könnte man das Rad der Zeit doch nur zurückdrehen, das wünscht sich Frau Röhl. Dankenswerterweise ist sie da in der Minderheit.