Photo by Elijah O'Donell on Unsplash

Falschmeldungen rund ums Plastik – sie gehören dazu, wenn Journalisten und Wohlmeinende glauben, ein Thema gefunden zu haben, bei dem die Umwelt besser wird, dazu aber eigentlich keine Anstrengungen von Nöten sind. Heute: die taz, ein kommerzieller Anbieter und die „Wahrheit“ über die Plastikstrohhalme. Hier der Tweet, meine erste Reaktion (eine Frage) und keine Quelle.

Auf Facebook dann auch


Auch hier wäre also eine Antwort zu viel erwartet.

Um wie viele Plastikstrohhalme geht es?

Folge ich also wieder dem Rechercheweg. Der führt mich erstmal in den taz-shop. Sackgasse, aber da steht der Anbietername:



Die Firma Halm aus Berlin. Die hat eine Übersichtsseite zu Plastikstrohalmen vs. Alternativen. Da heißt es etwa:

In Deutschland werden pro Jahr ca. 40 Milliarden Plastikstrohhalme verbraucht.[1] Das ist fast sieben Mal mehr als das, was an Plastiktüten anfällt.[2]

https://www.halm.co/de/wiederverwendbare-strohhalme-im-vergleich

Als Quelle für den ersten Satz wird die Augsburger Allgemeine angegeben. Woher hat die ihre Zahl?

Das Unternehmen Bio-Strohhalme aus dem bayerischen Raubling (Landkreis Rosenheim) bietet beispielsweise Trinkhalme aus Papier oder Kartoffelstärke an. „In Deutschland werden jährlich etwa 40 Milliarden Strohhalme verbraucht“, erklärt Jana Gessert von Bio-Strohhalme. Deshalb habe sich das Unternehmen vor einigen Jahren dazu entschieden, ressourcenschonende Materialien zu verwenden.

https://www.augsburger-allgemeine.de/geld-leben/Plastikmuell-Umweltorganisation-sagt-Strohhalm-den-Kampf-an-id42358506.htm

Quelle ist also ein (anderes) Strohhalm-Alternativen-Unternehmen. Auf deren Webseite finde ich keine Anhaltspunkte für die Zahl.

Verdienstvollerweise ist ein Kollege des Nordkurier der Zahl schon mal nachgegangen, und kommt irgendwie zu Indizien, die diese Zahl als, äh, falsch zeigen:

Die zweite Studie stammt von der internationalen Umweltschutzorganisation Seas at Risk. Die stellte im Juni 2017 in „Einweg-Kunststoffe und die Meeresumwelt” (PDF) fest, dass in der gesamten EU pro Jahr 36,4 Milliarden Strohhalme verbraucht würden, womit der Durchschnitts-Europäer im Jahr gerade mal auf 71 Halme käme.

https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/falsche-zahlen-bei-strohhalm-debatte-0431929805.htm

Okay, das war mal nix.

Aber mir geht es um die

Top 5 des Plastikmülls das im Meer landet

Als ich zuerst auf den Tweet der tar stieß, war ich auf dem Tablet unterwegs. Auch damals suchte ich den taz-Shop auf, und in meinem Browserverlauf folgt als nächstes diese Seite:




https://www.gute-nachrichten.com.de/2017/09/umwelt/3-6-milliarden-plastikstrohhalme-berliner-start-up-bietet-eine-wiederverwendbare-alternative/

Heute gibt es diesen Link nicht mehr auf der Shopseite, ich kann auch nicht beschwören, dass er da vorhanden war. Immerhin ist das wohl eine Pressemeldung, die HALM seinerzeit herausgegeben hat. Hier wird der Ocean Cleanup Day als Quelle für Top 5 genannt.

Wohlgemerkt: Nicht als „Top 5 des Plastikmülls, der in den Meeren landet“. Hier steht: „an Stränden und sonstigen Wasserwegen gefunden werden“.

Weiter auf der Suche nach der Quelle: die Webseite der oceanconservancy.org. (Unangenehm stößt mir hier das dicke, fette (r) Resistered Trademark auf). Es gibt einen 2018 Report zum Strandaufräumen, das die Organisation wohl organisiert. Hier die Ergebnisgrafik aus dem Report:


https://oceanconservancy.org/wp-content/uploads/2018/07/Building-A-Clean-Swell.pdf

Es ist schwer zu glauben, dass die Einsammler jedes Stück zählen, aber okay. 2,4 Millionen Zigarettenkippen sind jetzt auch sehr eklig. Strohhalme aus Plastik finden sich an Nummer 7. 643.562 Exemplare. Gegenüber 1,6 Millionen Plastikflaschen nicht gerade eine beeindruckende Zahl, und das ganze wäre noch etwas relativer, wenn man nach Masse gehen würde, denn jede einzelne Plastikflasche wiegt ja das Vielfache eines Strohhalmes.

Bleibt festzuhalten: nach aktuellen Zahlen aus dieser Quelle nix mit „Top 5“ sondern im Ranking Position 7.

Fazit – und die Problemlage

Am Ende sagt die Menge des an Stränden gefundenen Mülls nur ganz wenig darüber aus, was denn so im Meer an Plastik schwimmt. „Gefühlt“ ist das alles ganz schlimm, doch reicht das aus, um Politik und Schlagzeilen zu machen?

Ich wiederhole es: die größte Menge des Plastik im Meer kommt nicht aus Europa:


https://www.iswa.org/fileadmin/user_upload/Calendar_2011_03_AMERICANA/Science-2015-Jambeck-768-71__2_.pdf

Und natürlich müssen wir etwas tun, um das Problem zu lösen. Dazu etwa „How to solve the plastic crisis„. Und das ist alles nicht so einfach:

China has prohibited retailers from providing free plastic bags for a decade, to almost no effect. In Indonesia, longstanding efforts to tax plastic bottles and containers have run into the reality that few locals have access to piped or uncontaminated water. 


https://www.bloomberg.com/amp/opinion/articles/2018-06-25/how-to-solve-the-plastic-crisis?__twitter_impression=true

Was mich vor allem stört, ist a. die gutwillige Bereitschaft des Publikums, zum Thema Plastik präsentierte Horrorzahlen kritiklos hinzunehmen. Fake News werden gerne kritisiert, etwa wenn die Rechten versuchen, eine wie auch immer geartete Umvolkungsgefahr herbeizureden. Umweltschützer sollten dagegen darauf achten, dass ihre Argumente stimmen und gut begründet sind.

Und b., liebe taz: das kommt auf den Social-Media-Kanälen als „Meldung“ wie jede andere journalistische Leistung daher, ist aber in Wirklichkeit „Werbung“ – nicht aber als solche gekennzeichnet. Damit tut ihr Euch keinen Gefallen. Lasst das.

Photo by Elijah O’Donell on Unsplash