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Auf der Fahrt nach Berlin war ich mir ja nicht so sicher, ob das eigentlich wieder eine gute Idee war. Erster grober Eindruck des Programms: alles wie immer. Fake-News, Zensurdebatten, Politiker und „Politiker sind doo“f, Tipps und Tricks für Netzwerker, Kritik an den Netzwerken. Und dann auch noch eine Eröffnungsbotschaft durch den BuPrä. Alles wie immer?

Ich nehme das Fazit vorweg; nein, ich glaube nicht. Das ist allerdings, auch das nehme ich vorweg, keine uneingeschränkt gute Nachricht.

Aber zuerst zu meinem Tweet von der #rp19:

Ich habe Lobo nicht live, sondern nur per Youtube gesehen, denn Stage 1 war ja wieder knackevoll.

Hier die etwas mehr als eine Stunde zu seiner Analyse, dass wir erst jetzt die Realität wahrnehmen und warum das als Schock daherkommt.

Am Ende wird ein Appell daraus, gegen Plastik und Klimawandel konsequenter vorzugehen, und irgendwie schafft er es diesmal nicht, aus dem „Anschrei“-Modus herauszukommen, irgendwann bin ich alleine schon von seiner Vortragsweise genervt, die es eben nicht schafft, abzuwechseln, aufzubrechen, und, ja, mich zu überraschen.

Rund um Minute 30 macht er eine Krise des Expertentums aus und illustriert das vermeintlich am Beispiel des IFO-Geschäftsklimaindex und seiner Wahrnehmung, denn ihn stört jede Berichterstattung, in der das Wort „überraschend“ vorkommt. Ich glaube auch, dass Journalisten das oft zu leichtfertig verwenden, wenn der IFO-Index kommt, aber auf der anderen Seite: sie haben da normalerweise Wirtschaftswissenschaftler oder Finanzanalysten an ihrer Seite.

Es geht Lobo ja nicht darum, zu erklären was der Index ist und wie die Regeln der öffentlichen Wahrnehmung der Umfrage sind, alleine, dass seine Ergebnisse Experten „überraschen“ reicht, um ein Versagen des Expertentums zu konstatieren.

Das ist jetzt vor allem einem Missverständnis geschuldet, von dem sich noch nicht genug Menschen gelöst haben: trotz aller Zahlenhuberei sind Wirtschaftswissenschaften Sozialwissenschaften, und wir haben es da nicht mit der Erforschung physikalischer oder chemischer Gesetzmäßigkeiten zu tun, die man mit immer präziseren Instrumenten analysieren kann. Es ist die Interaktion von Wirtschaftssubjekten in wirtschaftlichen Kategorien. Und warum soll es da nicht immer wieder Überraschungen geben?

Insgesamt macht mir der Vortrag einen extrem zusammengestoppelten Eindruck, und natürlich bekommt er beim Thema „Plastik böse“ und „Klima in Gefahr“ riesigen Mainstreambeifall. Das ist ein bisschen billig, aber natürlich legal.

Das Expertenversagen hätte ich ja lieber illustriert gesehen an den Vorhersagen der angeblichen Internetexperten aus den letzten 15 Jahren. Gerade in der Wahrnehmung des Netzes und seiner Akteure liegen doch die Realitätsschocks dieser re-Publica. Und das ist gut so, und das sorgt am Ende dafür, dass ich zufrieden aus der Veranstaltung gehe – wenn auch nicht glücklich.

Lobo hat an einer Stelle Beifall für das Chart bekommen, nachdem die Mittel des 20. Jahrhunderts nicht die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen können. Ich komme darauf zurück – denn ein anderer Stage 1-Vortrag hat genau exakt das Gegenteil postuliert, und ich neige dazu, Cory Doctorow da extrem kopfnickend beizupflichten. Lobo hat in einem weiteren Chart „Kapitalismus“ einfach so als Wort an die Wand geworfen, das Publikum war kurz davor „Buh“ zu schreien. Aber, so einfach ist das nicht.

Was mich übrigens, soviel Kritik sollte schon an dieser Stelle sein, extrem gestört hat, ist das nicht-nachhaltige Müllkonzept der Veranstaltung, das in krassem Gegensatz zu den bejubelten Worten von Sascha Lobo steht: Einweg-Kaffeebecher sollten inzwischen ersetzbar sein, auch die Essensverpackungen. Und das übermäßige Verteilen des ineffektivsten Werbemittels aller Zeit, nämlich Hochglanzflyer, könnte man auch überdenken.

Jedes Feld-Wald-Wiesenfest eines lokalen Vereins setzt, unterstützt vom Spülmobil, das man bei der Kommune oder der Sparkasse leihen kann, auf echte Teller und echtes Besteck. Das sollte diese Avantgarde-Veranstaltung auch langsam hinbekommen. (Zu der Qualität der Verpflegung schweige ich).