Oh, ho. Ich sage mal das böse Wort: Glyphosat.
Schon geht bei vielen Menschen das Adrenalin hoch. Bei Dir auch?
Wollte ich nicht, aber lässt sich möglicherweise nicht vermeiden. Bei mir war heute nach der „taz am wochenende“-Lektüre das Maß voll, nämlich mit dem möglicherweise dümmsten Beitrag zur Debatte, den ich bisher lesen durfte. Jost Maurin mit seiner Moritat „Viele Bauern sind Glyphosat-Junkies„.
Es war dieser Satz, der in seiner Absurdität die ganze Debatte wiederspiegelt:
Die Mengen, die wir mit den Lebensmitteln zu uns nehmen, sind gering, die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ist daher niedrig. Aber selbst wenn es nur einen Menschen treffen sollte, wäre das einer zu viel. Da Betroffene sogar sterben können, ist klar: Solche Stoffe dürfen nicht auf den Markt, selbst wenn die Krebsgefahr (noch) nicht völlig bewiesen ist.
Dieser Logik folgend endet die Herstellung von Pommes Frites, die Teilnahme am Straßenverkehr und der Verkauf von Haushaltsleitern. Jetzt und hier. Sofort.
Es ist die letzte verzweifelte Zuspitzung, die am Ende die Grundlage der Argumente zeigt – und den Unwillen, der anderen Seite überhaupt noch zuzuhören. Wir sind umgeben von Stoffen, die unser Leben verkürzen können, und Grenzwerte sind vor allem politische Grenzsetzungen, die wenig mit Wissenschaft zu tun haben. In diese Grenzwerte fließen wissenschaftliche Erkenntnisse genau so ein wie Abschätzungen darüber, wie viel allgemeines Lebensrisiko wir als Menschen zu ertragen bereit sind. Da gibt es etwa dieses Radon, das nunmal natürlichen Ursprungs ist. Können uns Grenzwerte hier schützen?
Dass die Dosis das Gift macht, das ist denjenigen, die gerade Glyphosat verdammen, fremd, ebenso die Feststellung, das andere Stoffe eventuell gefährlicher sind. Und nicht nur in diesem Text wird klar, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht: die Menschen müssen umerzogen werden, Lebensmittel sollen teurer werden, der Ertrag sinken.
Ich finde, dass die Denunzierung der taz der Bauern als Junkies bedauerlich, vor allem wenn die taz sonst so gerne Mitgefühl mit Junkies zeigt. Der Text unterstellt einfach nur irrationales Suchtverhalten. Wer aus dieser Position schreibt, hat sein Gegenüber entmenschlicht und sich selbst aus der Debatte verabschiedet – wenn es wenigstens Ansatzpunkte für diesen Vergleich gäbe.
Weiterführende Texte, die im Gegensatz zum taz-Pamphlet tatsächlich weiterführen,finden sich hier
DIE ZEIT Pflanzengift-Saga ohne Happy End
DIE ZEIT Böse, böser, Glyphosat
gwup Die Skeptiker Glyphosat: Die ganze Debatte – und was geht uns das an?
Lars Fischer: Glyphosat und Krebs – welche Studie stimmt denn nun?
Update 4.12.
Sehr schön auch DIE GRÜNEN in ihrer Facebook-Anti-Glyphosat-Kampagne, geschildert hier vom Handelsblatt:
Der kurze Clip wirbt mit den Worten „Warum das Ackergift so schädlich ist, zeigt unser Video. Teilen hilft bei der Aufklärung!“. Darunter finden sich zahlreiche Kommentare, die dankbar klingen, die Grünen als „die Partei der Stunde“ loben und in denen betont wird, dass „dieses Gift endlich verboten werden sollte“. Aber viele werfen der Partei auch Irreführung vor. So schreibt eine Userin: „Es braucht wirklich nicht viel Fachwissen, um festzustellen, dass keines, aber auch wirklich keines dieser Fotos, die Ihr hier verwendet, im Zusammenhang mit Glyphosat steht.“ Und: „Auf Kosten der Sorge von Menschen um ihre Gesundheit Stimmung betreiben. Das ist in höchstem Maße verantwortungslos.“ Schaut man sich das Video genauer an, finden sich tatsächlich einige grobe Fehler.
Foto:Daniel Hansen