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Ich teile und lobe die taz ja gerne, sie ist ein Produkt meiner Generation und hat sich mit ihr entwickelt. Aber auch der kleingeschriebenen tageszeitung kann ich nicht alles nachsehen. Da ist zum einen der Artikel Ein Schuss und viele Fragen, der sich mit dem Messerangriff in einem Zug in Flensburg beschäftigt. Natürlich ist es grundsätzlich richtig, im Nachgang zu schneller aktueller Berichterstattung einen zweiten Blick auf Geschehnisse und die Meldungen dazu zu werfen. Vor allem da wohl Stand der Ermittlungen ist, dass zuerst die Polizistin im Zug Ziel des Angreifers war, sie also nicht einen anderen Konflikt lösen wollte. Aber Esther Geisslinger macht etwas anderes:

Aber was löste den Angriff aus? Litt der Mann vielleicht unter einer psychischen Störung, hat der Anblick der Uniform eine Panikreaktion ausgelöst? Wenn ja, war richtig Pech im Spiel: Die Beamtin aus Bremen hatte eigentlich dienstfrei, hätte also keineswegs in Uniform reisen müssen. In Schleswig-Holstein, so sagte der Leiter der Polizeischule in Plön in einem Interview, ist es eigentlich nicht vorgesehen, dass Beamte in der Freizeit mit Uniform und Waffe unterwegs sind.

Litt der Mann, und jetzt kommts, „vielleicht“?

Ich sehe kein Rechercheergebnis, dass diese Mutmaßung stützt. Während der Leiter der Polizeischule in Plön befragt wird, ob denn Polizisten auch in Uniform öffentliche Verkehrsmittel nutzen dürfen (oder so, übrigens gibt es in Plön anscheinend gar keine Polizeischule(!)) fehlt es an medizinisch-psychologischer Evidenz für die Unterstellung der Autorin. Diese scheint alleine motiviert durch entweder unerklärliche Empathie für den Messerstecher oder die Abneigung der Autorin gegenüber Uniformen.

Für die Redakteure, die den Text ins Blatt gehoben haben hätte sich die Frage stellen müssen: wäre es um eine versuchte Vergewaltigung gegangen, bei der sich das Opfer wehrte, hätte die taz dann spekuliert, welchen Tatbeitrag die Frau in knappen Shorts mit Crop Top geleistet hat, ob sie wirklich solche Kleidung hätte tragen müssen (wen ruft man da an um zu fragen?) und ob es beim Täter nicht eine psychische Störung gab, die durch diese Kleidung getriggert wurde?

Nein. Ein solcher Fall ist nicht denkbar.

Der zweite Artikel fällt auch in die Reihe „Redaktionsversagen“. Ex-BGH-Richter Thomas Fischer steht, nachdem er bereits von Silke Burmester unflätig beschimpft wurde, im Visier von Feministinnen in der Auseinandersetzung rund um Artikel 219a. Der Artikel von Gaby Mayr trägt de Überschrift: Rechtsprechung mit Schimmelansatz.

Kernpunkt der Kritik: der STGB-Kommentar (Tröndle/)Fischer wird mit einem Satz in Gerichtsurteilen zum 219a zitiert:

Beim Wuppertaler Amtsgericht hat man nachgeschlagen. Als die Amtsrichterin 2008 das erste Urteil über eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 90 Euro gegen Waldschütz verfasste, argumentierte sie so, wie es das Landgericht Bayreuth zwei Jahre zuvor schon getan hatte: Paragraf 219 a solle verhindern, „dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“. Das Urteil aus Bayern von 2006, bei dem ein Arzt verwarnt wurde, gilt als wegweisend. Beide Gerichte haben die Formulierung ganz offensichtlich aus dem Strafrechtskommentar „Tröndle/Fischer“ übernommen.

Das ist ungeheurlich. Unglaublich. Und richtig.

Die Vormachtstellung des Strafrechtskommentars wird noch einmal unterstrichen durch das zitieren einer Strafrechtlerin in aus Bremen

die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte,

Das ist ganz häufig Kronzeugen und Whistleblowern vorbehalten, die persönliche Nachteile befürchten müssen, wenn sie mit dem dann vorgebrachten Sachverhalt identifiziert werden können. Als journalistische Methode könnte man das „Bedeutungsanreicherung“ nennen, denn der Leser weiß ja: jetzt kommt etwas Unerhörtes, das enthüllt wird und ohne die Anonymisierung der Person niemals ans Tageslicht gekommen wäre. Die bahnbrechende Aussage über den Kommentar:

„Erscheint fast jedes Jahr in neuer Auflage, ist handlich, kompakt und bezahlbar.“

Die Welt ist ein Stück besser geworden, und die zitierte Juristin muss dadurch keine persönlichen Nachteile fürchten.

Die Frage, die sich nun die Redaktion der taz vor der Veröffentlichung des wortgewaltigen Beitrags von Frau Mayr hätte stellen können, respektive der Autorin hätte stellen müssen: steht dieser Satz

Paragraf 219 a solle verhindern, „dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“

nur im Fischer-STGB-Kommentar? Und wieso steht er da?

Thomas Fischer hat sich dazu wieder länglich geäußert, tut sich, wie schon öfter, mit seiner umfassenden und manchmal abschweifenden Art insofern keinen Gefallen, als der Text Deutschlandfunk, taz und Gaby Mayr auf heißer Spur – ein Betroffenheits-Stück über Zitate und Qualitätsmedien wieder zu lang ist und zu viele Punkte machen will. Er müsste ja langsam lernen, dass es effektiver ist, einen einzigen unwiderlegbaren Punkt zu machen, statt in Nebensetzen und Einschüben Ansatzpunkte für, an der Sache vorbeigehende, Widerrede zu bieten.

Dieser eine unwiderlegbare Punkt, eigentlich sind es zwei, sind:

Wenn die Qualitätsjournalistin nun einen einzigen Blick in das genannte Kommentarwerk getan hätte, zu dessen Vernichtung sie im Folgenden anhub, hätte sie in der genannten Randnummer sehen können, dass das Zitat dort in An- und Abführungszeichen steht und dass in Klammern eine Quellenangabe beigefügt ist. Diese verweist auf die Bundestagsdrucksache 7/1981 vom 24.4.1974; das ist der Bericht des Sonderausschusses des Deutschen Bundestags zur Reform der §§ 218 ff. StGB. Dort steht auf Seite 17 zu § 219a:

„Die Vorschrift soll verhindern, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales angesehen und kommerzialisiert wird.“

Mithin ist also dieser Satz kein Kommentar, wie es die Bezeichnung des Standardwerkes vermuten ließe, sondern die Beifügung der Quelle aus der Begründung des Gesetzgebers.

Und:

Wir schauen in den anderen, von Mayr nicht genannten Kommentaren nach: Zum Beispiel im „NOMOS Kommentar zum StGB“, im „Systematischen Kommentar zum StGB“, im „Münchner Kommentar zum StGB“, im „Leipziger Kommentar zum StGB; im Kommentar „Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB“, im Kommentar „Lackner/Kühl, StGB“ . Wist (sic!) stellen fest: In allen aktuellen Kommentaren zum StGB steht, fast überall in Randnummer 1 der Erläuterungen zu § 219a, was der Gesetzgeber sich bei der Vorschrift gedacht hat. Und überall steht genau dasselbe Zitat aus den Gesetzgebungs-Materialien.

Damit ist die aufgeblasende Geschichte von Frau Mayr in sich zusammengefallen.

Was mich ärgert ist nun einfach, dass die Redaktion der taz diese beiden Fragen nie gestellt zu haben scheint:

  • Steht der für die Autorin ärgerliche Satz nur im Fischer-Kommentar?
  • Und warum steht er da?

Mich nervt so was nur noch.

 

[Update 5.5. 14:53]

Die taz reagiert ein bisschen:

 

 

 

Bild: marfis75 on flickr