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Ich hatte das in diesem Jahr schon einmal. Eine Abstimmung, man geht ins Bett und wacht in einer anderen Welt auf. Diesmal ist es der vorhergesagte klare Erfolg für Hillary Clinton, der sich dann doch in einen klaren Erfolg für Donald Trump verwandelt. Und wieder ist das Vertrauen in die menschliche Intelligenz, das demokratische System, die Aussagekraft von Umfragen und die Einschätzung kundiger Beobachter des politischen Prozesses tief erschüttert.

Was nicht so schlimm wäre. Immerhin haben das andere kluge Menschen auch kommen sehen. Etwa dieser Michael Moore. Ganz überrascht kann ich also nicht tun …

Es gibt aber ein paar Gedanken, die sich jetzt im mir breit machen, vor allem nach den Post-Brexit-Erfahrungen.

    • Es wird ein „Weiter so“ geben. Nach dem Brexit-Votum haben viele gesagt, getan, geschrieben als müsse man jetzt „endlich“ mal ganz neu an die europäische Frage, die europäischen Institutionen und alles mögliche herangehen. In Wirklichkeit haben aber eigentlich alle, die ich wahrgenommen habe, danach nur gesagt und geschrieben, was sie vorher auch gesagt und geschrieben haben. Das gilt für die Europapolitiker von Juncker bis Schulz, die als Antwort eigentlich nur ein engeres, schnelleres, effektiveres Zusammenwachsen hatten – eigentlich dieselbe Position wie zuvor. Die EU-Zerstörer sahen sich eh bestätigt und sagen „Weiter so“. Und das gilt aber auch auf der Seite der linken Europakritiker – von Linkspartei bis Nachdenkseiten, eigentlich wurde dann auch wieder nur alles gesagt und geschrieben, vielleicht ein bisschen verbalradikaler. Und alle, wirklich alle Seiten, legitimierten das durch den Brexit. Doch wenn alle sagen, ein „Weiter so kann es nicht geben“ und dann einfach weitermachen, ohne auch nur ein Jota die eigene Position zu überdenken – dann passiert eben nichts. Das „Weiter so kann es nicht geben“ richtete sich immer an „die anderen“. Tja, und da stehen wir jetzt. Übrigens wird sich das in den „Brexit heißt Brexit“-Verhandlungen auch zeigen: bewegen müssen sich immer die anderen. Das wird ein Spaß.
      Die liebe Sahra Wagenknecht macht schon mal vor, wie das so geht:

Es könnte sich zu einem lustigen Mythos wandeln, wenn man davon ausgeht, dass Bernie Sanders gegen Trump bessere Chancen gehabt hätte – ganz ehrlich: das ist doch eher unwahrscheinlich. Ja, in den Städten hätte Sanders ein paar frustierte Junge mehr geholt, aber die Mobilisierungsrate bei den Konservativen hätte nochmal gesteigert werden können – wenn man noch die Angst der Amis vor dem Sozialismus einpreist.
Und jetzt darüber zu mäkeln, dass die Demokraten ihn nicht aufgestellt haben – ich weiß noch, wie im Frühjahr das amerikanische Vorwahlsystem völlig überraschend von den Linken als die beste aller Welten gepriesen wurde  – nur ist da halt auch nicht das Ergebnis bei herausgekommen, dass sich die Linken gewünscht haben. Also doch ein Scheißsystem. Und natürlich gilt jetzt: die Sozis müssen sich bewegen, nicht wir. Das Ganze garniert von unvermeidlichen Volker Pispers, von dem ich allerdings nicht weiß, wie viele Tage des letzten Jahres er in den USA verbracht hat und wie viele Menschen er dort gesprochen hat (und von wann diese Grafik ist). Der Beitrag aus europäisch-linker Perspektive erklärt gar nichts. Er ist die lautmalerische Darstellung von Statistiken, aber die können in die Irre führen. Ein bisschen näher gekommen bin ich diesen unverständlichen Menschen durch diesen taz-Artikel, der ja zu Recht für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Übrigens scheint es ein Mißverständnis zu sein, dass die Armen und Abgehängten Trump gewählt haben, etwa die Gruppen, die Wagenknecht sieht. Die Exit-Polls zeigen da ein anderes Bild, auch wenn das vorläufig ist (zu Income scrollen). Das selbe Mißverständnis erfüllt übrigens die Analysen der Erfolge der AFD in Deutschland.

  • Es scheint eine wunderbare Lust am Untergang zu geben. Wenn sich die Wirklichkeit den Weltuntergangs-Blockbustern aus Hollywood annähert, dann schaut man angegruselt zu. In der Hoffnung, wie im Kinositz und auf dem Sofa betrifft das dargestellte nicht das eigene Leben. Dazu passt der Kommentar von Tim Klimes:

  • Haben wir uns, habe ich mich nicht schon damit abgefunden, dass im kommenden Jahr Marie Le Pen in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft kommen wird? Und wer sagt denn heute ernsthaft, dass sie keine Chancen hat, Präsidentin zu werden? Ja, die beschwichtigenden Stimmen. Aber wir haben hier zwei beispielhafte Ereignisse, die durchaus auch eine Sogwirkung entwickeln können.
  • Und wir und ich haben uns auch damit abgefunden, dass die AFD im nächsten Bundestag sitzen wird – aber wie stark? Stärker als die beiden jetzigen Oppositionsparteien? Zusammen? Ach nein, ach was? Wirklich? Und anscheinend gibt es auch hier das“Weiter so“. Wenn mir als erste Reaktion einfällt, ob es denkbar ist nach Irland auszuwandern, was bedeutet das?

Und wie ich das jetzt wieder meinen Kindern erkläre …