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So what?

So, weil der Streit zwischen Lockerungsbefürwortern und -skeptikern langsam in unappetitliche Runden geht, man mag den Sozialen Medien gar nicht mehr folgen, hier durchaus angebracht der Hinweis des neuen (oder gar nicht so neuen) Stars am Himmel der Wissenschaftsberichterstattung Mai Thi Nguyen-Kim:

Ich fand darin einen Satz ganz prima, aber den finde ich jetzt so schnell nicht wieder – was mein Problem mit diesen Videos und vor allem Podcasts ist. Vielleicht ist da ja nur mein Problem. Ich kann bei einem Text, schlimmerenfalls bei einem PDF, schnell den Inhalt scannen, Dinge überspringen, die ich schon kenne, andere zweimallesen und schnell schauen, ob der Beleg-Link auch zum Beleg führt. Videos und Podcasts widersprechen meiner Art zu recherchieren, abzuspeichern. Ich werde darauf nochmal eingehen. Ich weiß, Podcasts sind der neue (oder gar nicht mehr so neue) heiße Scheiß, jeder braucht einen, und in meiner Timeline betteln alle: hört mich doch mal an.

Nochmal durchgeshuttelt. Nicht gefunden. Schade.

Diese Unterscheidung von „What“ und „So what“ finde ich – erhellend.

Noch weitergehende Überlegungen zum Verhältnis Wissenschaft/Medien/Politik

Den folgenden Text „Die Schlafwandler“ musste ich erstmal sacken lassen. Die Überschrift ist sicher angelehnt an „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ von Christopher Clark. Thema ist Komplexität, viele Motive, Handlungsoptionen, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einwicklungen die in die erste Jahrhundertkatastrophe führten.

Clark beschreibt minutiös die Interessen und Motivationen der wichtigsten politischen Akteure in den europäischen Metropolen und zeichnet das Bild einer komplexen Welt, in der gegenseitiges Misstrauen, Fehleinschätzungen, Überheblichkeit, Expansionspläne und nationalistische Bestrebungen zu einer Situation führten, in der ein Funke genügte, den Krieg auszulösen, dessen verheerende Folgen kaum jemand abzuschätzen vermochte.

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Keine monokausale Erklärung, aber eine unheilvolle Entwicklung aus vielen einzelnen Entscheidungen.

Zurück zum Text bei den Salonkolumnisten. Hier wird der Bogen geschlagen von de Corona-Krise zu den anderen Herausforderungen für das Überleben der Menschheit.

2005 beschrieb ein Team aus chinesischen und australischen Forschern, darunter Virologen aus Wuhan, Fledermäuse als natürliche Reservoirs einer ganzen Reihe von SARS-ähnlichen Coronaviren. Es sei äußerst wichtig, schrieben sie, Fledermäuse und ihre Viren und die Interaktionen zwischen Fledermäusen, anderen Tieren und Menschen besser zu verstehen, „vor allem im Hinblick auf die ‚wet markets‘“, um weitere Seuchen wie SARS zu verhindern. (…)
Eine Bundestagsunterrichtung mit dramatischen Warnungen u.a. des Robert Koch- und des Paul-Ehrlich-Instituts aus dem Jahre 2012 beschreibt ebenso präzise nicht nur die heutige Pandemie, sondern stellt eindeutige und klare Forderungen: mehr Beatmungsgeräte, mehr Schutzkleidung, mehr Masken.
Der Bericht lag dem Bundestag ab 2013 vor. Und dann wurde er abgelegt, durch drei Gesundheitsminister und die Regierungen ignoriert und stattdessen beschlossen, die Zahl der Krankenhäuser zu halbieren und die Warnungen der Fachbehörden komplett zu überhören.

https://www.salonkolumnisten.com/die-schlafwandler/

Für die Autoren Ludger Weß und Erwin Jurschtitsch ist dieser Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen typisch. Sie kritisieren die Verharmlosung und das Untätig bleiben im Januar/Februar 2020, was die Kosten der Pandemieeindämmung in atemberaubende Höhen getrieben hat. Die Gehen bei der Ursachensuche aber wesentlich tiefer:

Eines aber darf auch nicht vergessen werden: Die, die jetzt nach einem Impfstoff schreien, haben über 40 Jahre hinweg die Biotechnologieforschung verzögert und behindert: absurde Vorschriften, schockierende bürokratische Hürden, Lehrpläne und Schulbücher, in denen Gentechnik allenfalls als Hochrisikotechnologie vorkommt, steuerliche Vorschriften, die Forschern und Investoren Gründungen und Finanzierungen erschweren und das Ersticken jeder Form von Aktienkultur haben verhindert, dass in Deutschland – einst Apotheke der Welt – ein neues Amgen oder Gilead entstehen konnte.

https://www.salonkolumnisten.com/die-schlafwandler/

Das satte und er“grünte“ Deutschland, in dem sich die Spitze der Zeitweise in Umfragen zweitstärksten Partei es nicht geschafft hat, Homöopathie als den Humbug zu bezeichnen, der sie ist, dieses Deutschland hat sich mit dem Abstieg als Hochtechnologie-Standort abgefunden, ja diesen noch als fortschrittlich verbrämt. Übrigens nicht nur die Grünen, auch bei anderen Parteien waren Technologie und Innovation nicht so angesagt. In der Wirtschaft auch nicht, die Investitionsquote weist darauf hin:

Die deutsche Investitionsquote ist im internationalen Vergleich gering. Im Jahr 1999 lag sie bei rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2012 waren es nur noch knapp über 17 Prozent. Im Durchschnitt der Jahre von 1999 bis 2012 war die Investitionsquote in Deutschland um rund vier Prozentpunkte niedriger als in der OECD insgesamt und um rund drei Prozentpunkte niedriger als in den übrigen Ländern des Euroraums.

https://www.diw.de/de/diw_01.c.423663.de/presse/glossar/investitionsquote.html

Während Ingenieure daran arbeiteten, den Diesel noch effektiver, größer, schöner und besser zu machen (was nicht reichte, um Grenzwerte einzuhalten, jedenfalls dann, wenn man aus Marketinggründen auf ordentlich große Ad-Blue-Tanks verzichtet) blieb vieles liegen. Auch weil Politiker, Parteien und „die Menschen“ das so wollten:

Die Autoren beschreiben Zukunftsfelder mit der Frage nach der Vorbereitung auf andere Katastrophen:

Jeder weiß, dass der Bedarf an Nahrungsmitteln bis 2050 um bis zu 70 Prozent steigen wird und dass wir mehr erzeugen müssen, um Hungerkatastrophen, wie sie noch im 20. Jahrhundert üblich waren, zu verhindern. Statt aber die Entwicklung neuer Sorten voranzutreiben, die mit weniger Input von Dünger und Pflanzenschutzmitteln auf weniger Fläche mehr erzeugen, so dass wir Hungersnöte vermeiden, aber zugleich Insektenparadiese wie Moore, Wälder und Ödflächen renaturieren könnten, verbietet Europa grüne Gentechnik und setzt auf Biolandwirtschaft mit Methoden aus dem 19. Jahrhundert: Bis zu 40 Prozent weniger Ernte und damit eine wachsende Abhängigkeit von Lebensmittelimporten werden als Fortschritt verkauft. Das wahre Problem sei die Lebensmittelverschwendung.

https://www.salonkolumnisten.com/die-schlafwandler/

Dem hier muss ich noch nachrecherchieren, aber eigentlich habe ich keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung:

Auch hier führt Europas Politik ins Desaster. Die seit Jahrzehnten unverändert geltende EU-Gentechnikrichtlinie, so urteilte jüngst das höchste Gericht Frankreichs, betrifft nicht nur herkömmliche Gentechnik und CRISPR-Cas, sondern auch die seit den 1950er Jahren angewandte Mutationszüchtung: Jetzt steht nicht nur der Anbau von Braugerste, zahlreichen Hafer-, Weizen- und Roggensorten sowie beliebter Obst- und Gemüsesorten auf dem Spiel. Einstweilen verboten werden muss wohl auch deren Verkauf, einschließlich der aus diesen Sorten gewonnenen Produkte wie Bier, Mehl und Fruchtsäfte. Noch ist nur Frankreich betroffen, aber die NGOs, die das Urteil erstritten haben, sind EU-weit aktiv.

https://www.salonkolumnisten.com/die-schlafwandler/

Auch die Energiewende haben die Autoren im Visier, teuer aber ineffektiv, im weltweiten Maßstab sogar kontraproduktiv, wenn europäische Technik, die den Schadstoffausstoß von Kohlekraftwerken verkleinern könt, sich mehr fortentwickelt wird, weil man hierzulande ja gar nichts mehr mit dieser Technologie zu tun haben will. Bei der Kernkraft bin ich nicht ganz mit ihnen einig, aber die Argumente stehen im Raum: Folgekosten auf allen Ebenen spielen bei vielen Entscheidungen keine echte Rolle.

Harscher Schluss:

Europa ist es nicht mehr gewohnt, mit Gefahren umzugehen, indem es Risiken gegeneinander abwägt. Stattdessen werden Gefahrenquellen ausgeschaltet, ohne Rücksicht auf Verluste. Würde die elektrische Stromversorgung heute erfunden, sie würde in Europa nicht eingeführt, weil man an einem Stromschlag sterben kann.
So ist auch die Herangehensweise bei Corona vor allem Gefahrenabwehr. Wir brauchen aber Risikomanagement – und eine Öffentlichkeit, einschließlich Opposition und Medien, die endlich die richtigen Fragen stellt.

https://www.salonkolumnisten.com/die-schlafwandler/

Ich finde den Text nachdenkenswert.

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