Heute morgen einer von diesen wahnsinnig vielen Tweets, die, implizit, eine sofortige Verstaatlichung der Krankenhäuser verlangen, weil der Staat das alles wirklich viel besser hinbekäme. Vorab: ich habe meine Zweifel.
Ich habe diese Zahl jetzt nicht nachgeprüft, rechne jetzt aber nach. Wir reden hier von sechs Jahren. Macht pro Jahr ca. 767 Millionen Euro. Viel Geld.
Die Helios-Kliniken betreiben 2019 86 Kliniken (ich gehe jetzt bei allen Angaben von Wikipedia aus, meist für das zurückliegende Jahr.) Zum Konzern gehören noch 120 Medizinische Versorgungszentren und zehn Präventionszentren. Jährlich werden 5,2 Mio. Patienten behandelt. Der Konzern hat 66.000 Mitarbeiter und 2017 einen Umsatz von 6,1 Mrd. Euro.
Asklepios hat 36 Krankenhäuser, dazu “ 13 Psychiatrische Kliniken, 41 Postakut- und Rehakliniken und 33 weitere Einrichtungen darunter Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und das MediLys-Labor.“ Jahresumsatz 2015 3,1 Mrd. Euro, Rund 2,28 Mio Patienten und 34.690 FTE Mitarbeiter (also nicht Köpfe sondern als Vollzeitststellen gerechnet).
Rhön-Klinikum ist kleiner, sehr viel kleiner: (Geschäftsbericht). Umsatz 2018: 1,23 Mrd. Euro. Knapp 17.000 Mitarbeiter, 850.000 behandelte Patienten. Konzerngewinn 2018: 51 Mio Euro. Betten: 5.369.
Kommen wir zur Krankenhausstatistik insgesamt, beim Statistischen Bundesamt zu finden:
In 1 942 deutschen Krankenhäusern standen im Jahr 2017 rund 497 200 Betten bereit, darunter rund 28 000 Intensivbetten. Die Krankenhausbetten waren zu gut drei Viertel ausgelastet (Bettenauslastung insgesamt: 77,8 %; Intensivbetten: 79,0 %).
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/_inhalt.html
Von wem werden diese Krankenhäuser betrieben? Dazu der Tabellenband, Stand 2017. Danach wurden 37,1 Prozent der Krankenhäusern kommerziell betrieben, 34.1 Prozent von Trägern der Wohlfahrtspflege o.ä (hier: Freigemeinnützig genannt, also DRK, Diakonie, Caritas etc.) und 28.8. Prozent von öffentlichen Trägern, also Ländern, Städten und Kommunen. Bei der Bettenzahl sieht das anders aus: an den 497.182 Betten haben die öffentlichen Krankenhäuser einen Anteil von 48 Prozent, Freigemeinnützige Träger 33,2 Prozent, Kommerzielle Anbieter 18,7 Prozent.
(Falls jemand fragt was ich abgeschnitten habe: bei den öffentlichen Krankenhäusern gibt es unterschiedliche Unternehmensformen, etwa GmbHs die den Kommunen gehören oder Eigenbetriebe, die rechtlich abhängig sind)
Warum das so sein könnte erkläre ich mir durch den hohen Bestand an Spezial- und Rehakliniken bei den drei oben gezeigten Konzernen, die pro Einheit weniger Betten haben als die großen medizinischen Vollversorger (auf die wir in der Corona-Krise schauen müssen).
Fazit 1: von einer umfassenden, allgemeinen, vollständigen „Privatisierung“ der Krankenhäuser kann keine Rede sein.
Jetzt mal die Zahlen aus den Tweet in einen Kontext gestellt: die drei genannten Konzerne haben zusammen pro Jahr, wenn wir einfach die vorliegenden Zahlen nehmen, 6,358 Mio Patienten behandelt. Bei einem Jahresgewinn von 767 Mio. Euro macht das einen Gewinn von rund 120 Euro pro Behandlung.
Und ihr wollt mir jetzt ernsthaft weiß machen, dass 1. dieser Gewinn schuld daran ist, dass die Corona-Krise Krankenhäuser kaputt macht? 2. Dass öffentliche, kommunale Krankenhäuser anders oder gar besser wirtschaften?
Fazit 2: Viele lassen sich schnell von hohen Zahlen wie 4,6 Mrd. blenden, wenn wir die Bezugsgrößen (pro Jahr, pro Bett, pro Patient) nicht mit bedenken. Das ist ein, in diesen Tagen, aber auch sonst, sehr beliebter Kniff.
In Deutschland ringen die Krankenkassen mit den Beiträgen ihrer (Zwangs-)Mitglieder (was übrigens richtig ist!) um die Kosten für Behandlungen mit Krankenhäusern, Pharmafirmen, Medizingeräteausstattern. Ich finde das System nicht fehlerfrei, aber ganz so fürchterlich wie andere, die jetzt den großen Systemwechsel wollen, dann auch nicht.
Wie ein staatliches Gesundheitssystem (nicht) funktioniert, das sehen wir seit Jahrzehnten in Großbritannien. Das NHS ist dysfunktional. Und komme mir jetzt keiner mit: das ist nur schlecht organisiert. Großartige deutsche demokratische Sozialisten könnten das viel besser.
Hier vor Ort gibt es das traurige Beispiel des Senio-Zweckverbandes, bei dem der Kreis und ein paar Kommunen Altenpflegeinrichtungen etc. schaffen wollten, seit 2003. Ein Desaster aus überforderten, wenn auch gutwilligen Lokalpolitikern. Artikel dazu hier, hier ( aus 2016, den Verband gibt es noch!). [Übrigens ein wichtiges Beispiel für die Notwendigkeit für engagierten Lokaljournalismus – wer wenn nicht Journalisten soll das Chaos einer solchen Einrichtung aufdecken!]
Zum Thema, warum Pflegekräfte und medizinisches Personal in Kliniken so schlecht bezahlt sind, weil das hier jetzt sicher als „Gegenargument“ kommt, verweise ich erstmal nur ganz kurz auf einen Artikel in der Süddeutschen von 2017 (sic!):
Vor zehn Jahren löste die Krankenpfleger-Gewerkschaft Tehy in Finnland fast eine Staatskrise aus: 40 Prozent aller Pflegekräfte des Landes drohten, geschlossen zu kündigen. Erst am Morgen des Stichtags knickten die Arbeitgeber ein – die Gehälter in der Pflege stiegen um eindrucksvolle 20 Prozent.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/job-das-ist-ganz-schoen-ernuechternd-1.3791695
Das gibt einen Hinweis auf das Problem, aber auch auf die Lösung. In unserer Struktur der Marktwirtschaft gehört nämlich auf die Gegenseite zu den Arbeitgebern die Gewerkschaft, Die Gewerkschaften haben wir, Gesellschaft und Journalisten, in den letzten zehn bis zwanzig Jahren nicht gut behandelt. Als Überbleibsel der Vergangenheit in der schönen neuen Welt aus Freelancern, Soloselbständigen, hippen Akademikern. Irgendwie uncool, irgendwie aus der Zeit gefallen. Ende der 1990er, Anfang der 2000er waren ihre Funktionäre (blödes Wort) noch relevant, bekamen auch Presse und Sendezeit. Mit dem „Dritten Weg“ von Blair und Schröder wurde das auf den Abfallhaufen der Geschichte befördert – was ein Fehler war. Ja, auch die Gewerkschaften taten sich schwer mit geänderten Einstellungen und Arbeitsprozessen, aber wer, wenn nicht sie, wären in der Lage, eine ordentliche Bezahlung der genannten Kräfte zu erreichen. Zusammen mit der aus der Mode gekommenen Allgemeinverbindlichkeits-Erklärung auch für Träger, die sich aus Arbeitgeberverbänden verabschieden. Bäng.
Aber der Organisationsgrad in Deutschland ist, man kann es nicht anders sagen, Scheiße:
Der Organisationsgrad skandinavischer Pflegekräfte beträgt 90 Prozent und ist damit schätzungsweise zehn Mal so hoch wie in Deutschland. Die Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der winzigen Kirchengewerkschaft und diverser Berufsverbände sind dabei schon zusammengerechnet.
ebd.
„Das ist ein typisch deutsches Phänomen“, sagt Johanna Knüppel vom BDfK, dem mit rund 22 000 Mitgliedern größten deutschen Berufsverband für Pflegeberufe. Der Hauptgrund sei die Tradition, schließlich sei die Krankenpflege früher Aufgabe von Ordensschwestern gewesen. „Unterschwellig ist das immer noch drin: Pflege gilt als Dienst um Gotteslohn“, sagt Knüppel. „Viele Pflegende sagen selbst, dass sie in erster Linie Menschen helfen wollen. Dazu passt es nicht, im Rahmen einer Mitgliedschaft in Berufsverband oder Gewerkschaft für die eigenen Bedürfnisse einzustehen.“ Für die Arbeitgeber sei das natürlich sehr bequem.
Wenn aus der Krise etwas gelernt werden muss, dann der: die Gewerkschaften müssen gestärkt werden. Wir brauchen Einheitsgewerkschaften. Die schlecht bezahlten Berufsgruppen müssen sich organisieren. Die Ärzte, Marburger Bund, machen das mit großer Lässigkeit: aus einer „Standesvertretung“ ist schon lange eine Gewerkschaft geworden.
Aber bitte, rennt jetzt nicht den Menschen hinterher, die eh „den Kapitalismus“ für sprengenswert halten. Das Leben in den Trümmern wird fürchterlich sein.
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