Ich empfehle jetzt mal zwei Bücher:

Stefan Baron, Guangyan Yin-Baron: Die Chinesen: Psychogramm einer Weltmacht
2018, 448 Seiten, Econ

Stefan Baron, Guangyan Yin-Baron: Die Chinesen: Psychogramm einer Weltmacht
Stefan Baron, Guangyan Yin-Baron: Die Chinesen: Psychogramm einer Weltmacht

Ich verstehe nun wirklich besser, wie dieses China funktioniert. Ein wahrer Rundumschlag, den Stefan Baron da hinlegt, mit historischen und geistesgeschichtlichen Grundlagen, die beim Lesen klar machen, warum es ein Problem ist, wenn wir versuchen, aus zentral-mitteleuropäischer Sicht China zu verstehen. Denn es spielt am Ende doch eine Rolle, in welcher Tradition man aufwächst. Das beginnt beim Rechtssystem und der Bedeutung von Gesetzen, Verträgen und der Dritten Gewalt. Und endet nicht bei den Früchten der Aufklärung, aber auch den Traditionen katholischer oder protestantischer Soziallehre. China ist anders, das macht das Buch enorm deutlich.
Und wird es wirklich so sein, dass sich der westlich-liberale Lifestyle mit der Öffnung der Chinesen für Handel und kulturellen Austausch durchsetzt? Es spricht nicht sehr viel dafür.
Die Bewunderung für das Land und seine Bewohner ist dem Buch anzumerken, und lange beschäftigt sich Baron auch damit, wie das Ausland immer auf China geblickt hat – mal bewundernd, dann zunehmend abschätzig und verächtlich. Und was dieser Blick in China selbst bewirkt hat.
Umfassend, umfangreich, spannend und für die Zukunft wirklich wichtig.
Ein paar blinde Flecke gibt es. Erklärt mir bitte das chinesische „Sozialsystem“ – denn da kann sich viel Sprengstoff ansammeln, wenn Eltern zum einen horrendes Geld für die Ausbildung ihrer Kinder ausgeben müssen, umgekehrt aber auch für das Alter der eigenen Eltern zahlen müssen. Entsteht eine kapitalgedeckte Altersvorsorge? Wie funktioniert das Gesundheitssystem?
Und, wenn China zuförderst als außenpolitisch nicht aggressiv geschildert wird: was ist mit Tibet.

So bleiben dennoch Fragen offen. Die Lektüre lohnt sich dennoch sehr

 

Wolfgang Hirn: Chinas Bosse: Unsere unbekannten Konkurrenten
2018, 284 S., Campus

Wolfgang Hirn: Chinas Bosse: Unsere unbekannten Konkurrenten 2018, 284 S., Campus
Wolfgang Hirn: Chinas Bosse: Unsere unbekannten Konkurrenten 2018, 284 S., Campus

Über weite Strecken ist „Chinas Bosse“ ein Nachschlagewerk zu den aktuellen chinesischen Firmen, beschreibt aber auch sehr gut, welche Arten von Unternehmen es in der Volksrepublik gibt. Wer wissen will, welche Unternehmen sich hinter vielen Sponsoren-Namen bei der WM verbergen: hier ist man richtig. Und richtig sensibel macht einen das für den sagenhaften Aufstieg der chinesischen Unternehmen. An ZTE, Xiomi und Huawei lässt sich das ja etwa auf dem Smartphonemarkt nachvollziehen: vor zehn Jahren unbekannt, vor fünf Jahren die „billigen“ Chinesen, und heute teilweise technologisch an der Spitze mitspielend – man denke an das Huawei P20.
Es geht um Indus

triepolitik, den Staat, die Politkader in den Unternehmen, über einen Haufen Tellerwäscher-Karrieren. China befindet sich da, wo sich der Westen in der Sturm- und Drangzeit der Industrialisierung befand, nur techologisch und unternehmerisch im 21. Jahrhundert. Der Staat läßt in vielen Bereichen die Zügel locker, setzt aber anderswo Prioritäten, und niemand sollte sich wagen, sich den Plänen der Staatsführung in den Weg zu stellen. Das wissen die Manager hinter Tencent, Baidu, Alibaba. Das bekommen die Merkwürdigen Vier, auch „die Nashörner“genannt HNA(u.a. Aktionär bei der Deutschen Bank), Wanda, Fosun und Anbang zu spüren. Der Staat stützt sie, bremst aber auch ihren ungeheuren Einkaufshunger bei westlichen Firmen aus.
Wer „Chinas Bosse“ gelesen hat, bleibt bei aktuellen Wirtschaftsnachrichten auf dem Laufenden, denn wenn etwa CATL eine Batteriefabrik in Thüringen plant, wo BMW einsteigen will, dann ist hier der Hintergrund zu Unternehmen und Strategie.
Es ist wichtig, diese neuen Firmengeschichten genau so zu kennen wie die Erfolgsstorys von Amazons Jeff Bezos, Apples Tim Cook, Elon Musk, Zuckerberg. Wir sollten Ma Huateng alias Pony Ma, Jack Ma, Robin Li, Wang Jianlin genau so auf dem Zettel haben.
Manchmal nervt ein wenig der etwas zu euphorische Stil des Autors, wenn er über die Innovationen der Unternehmen spricht – es ist doch klar, in einem Land ohne Girokontensystem und Kreditkarteninfrastruktur setzt sich digitales Bezahlen nunmal schneller durch. In vielen Bereichen hat China die Chance, Entwicklungsschritte zu überspringen – und tut das auch, etwa bei der E-Mobilität.
Und der Epilog mit einem beinahe verzweifelten Appell an die Europäer, bitte endlich gezielte Industriepolitik zu betreiben, gehört wahrgenommen. Die „Liebe zum freien Markt“, die Deutschlands Spitzenökonomen so vor sich hertragen, wird gegenüber der merkwürdigen Kombination aus Steuerung und Markt „Made in China“ über kurz oder lang ins Hintertreffen geraten. Und China hat Großes vor bis 2049, wenn sich die Gründung der Volksrepublik zum 100. Mal jährt. Das muss nicht schlecht sein für die Welt, für die Europäer. Nur ein naives Weiterwurschteln wird nicht helfen.