Politisch oder korrekt?

In der taz am Wochenende gab es einen sehr hintergründigen Text über einen Meinungskampf an der Universität, im Kern geht es um „Wissenschaft“ contra „Haltung“, und da ist eine trotzkistische Gruppe (was es nicht alles noch gibt) im „Fight“ mit dem Historiker Baberowski. Zwar ist mir jemand, der Roland Tichy retweetet auch nicht grundsätzlich sympathisch, aber dennoch: eine Analyse diktatorischer Systeme muss erlaubt sein.

In Baberowski und Münkler trifft die Kritik zwei prominente Professoren, die das öffentliche Wort nicht scheuen und mit Medien umzugehen wissen; und in beiden Fällen ist auf studentischer Seite eine kleine linke Hochschulgruppe involviert, die Baberowski nur „die Sekte“ nennt.

Alexander Schnickmann, 23, blass, kahl, rundes Gesicht, dunkle Brille, schätzt die Herausforderung, schätzt den Dissens, schätzt deswegen auch Jörg Baberowski, für den er als studentische Hilfskraft arbeitet. „Alle haben die gleiche Meinung“, sagt er, „es ist eine große Blase an der Uni.“ Dazu gehören für ihn eine Portion Moralismus und Selbstbezogenheit, zählen Identitätsdiskurse, kulturalistisches Denken, all das, was man unter den Begriff Politische Korrektheit packt.

Mich erinnert das schon an meine Studienzeit, es scheint heute aber noch konfliktbeladener zu sein, da sind die teilnahmslos vor sich hin Studierenden, da die Aktivisten. Es bleibt wirklich schwierig, wenn es um die Rolle der Intellektuellen in Deutschland geht. Wann schalten die sich in aktuelle Debatten ein ohne sich durch allzu grundlegende Diskussionen selbst aus dem öffentlichen Diskurs zu nehmen?

Für mich aber der wichtigste „Satz“:

„Widerlegen Sie sich selbst, einmal am Tag, das tut gut“, sagt er. Das sagt sich so leicht.

Also der Appell, sich selbst, seine Aussagen und seine Überzeugungen, wieder und wieder auf den Prüfstand zu stellen. Das ist durchaus erstrebenswert.

Talkshow- oder AfD-Geschwätz

Thomas Fischer, selbst- und sendungsbewusster Ex-BGH-Richter vertritt von Zeit zu Zeit kontrovers diskutierte Meinungen, aber in aller Regel ist es eine Freude, seinen Argumentationsketten und Gedankengängen zu folgen – er kann dabei helfen, dieses „Widerlegen“ von sich selbst anzutreiben, wenn er gegen den Stachel löckt. In diesem Text bei Meedia hat er sich eine Talkshow vorgenommen, in der das apokalyptische Duo Reichelt/Plasberg das „gesunde Volksempfingen“ ausgepackt hat.

Plasberg auf der Spur des Volks: „Auch jenseits der Fälle von Kinderschändern: Die Justiz gerät zunehmend in die Kritik“, sagt er zum Einstieg. Das ist eine elegante Überleitung in den Zaubergarten, der nun folgt. Was „die Justiz“ treibt, widerspricht, so Plasberg, dem „berühmten Volksempfinden, meist heißt es ja: das gesunde Volksempfinden.“ Das gesunde Volk im Studio ist schon mal begeistert. In der Gastriege erhebt sich kein Widerspruch, daher sei hier erwähnt:

Das berühmte Plasbergsche Volksempfinden stammt aus Paragraf 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung vom 28. Juni 1935. Da hieß es: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient.“ Dies war die Anordnung der so genannten unbegrenzten Analogie im Strafrecht, also das definitive Ende jedes rechtsstaatlichen Strafsystems. Deshalb wurde das berühmte „gesunde Volksempfinden“ durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946 als typisch nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben. Ich finde, man sollte das Herrn Plasberg und dem deutschen Volk mitteilen.

Ich habe diese Talkshow, wie eigentlich jede, nicht gesehen. Aber ich kann das Entsetzen des Gebildeten angesichts der populistischen Kackscheiße hier schon nachempfinden.

Dann geht es um das angebliche „Anzünden“ eine Obdachlosens in Berlin. Ein Gericht hat geurteilt, und der neue BILD-CR ist gaanz anderer Meinung:

Bild hatte die Jugendlichen vorsichtshalber schon mal als „Feuerteufel“ in Erinnerung gerufen, als zwei von Ihnen Ende 2017 wegen eines Raubes angeklagt wurden. Hieraus, so Reichelt und Plasberg, wird die ganze skandalöse Fehlerhaftigkeit des vorangegangenen Urteils offenbar, für das sich nun Herr Gnisa irgendwie entschuldigen soll.

Rechtsregel Reichelt: Es ist nicht vorstellbar, dass man Feuer unter einem Menschen legen kann, ohne ihn dabei töten zu wollen. Ich glaube, zu dieser Auffassung kann man tatsächlich nicht kommen, außer man ist Jurist und behandelt diesen Fall. Da gehen Rechtsprechung und Rechtsempfinden ganz weit auseinander und das führt dazu, dass Menschen das Vertrauen in Gerichte verlieren.

Der Ansatz zeigt, zu welchem Ausmaß an bornierter Fantasielosigkeit man fähig ist, wenn man erstens keine Ahnung und zweitens einen festen Glauben hat. Von den kleinen Fakten-Abweichungen einmal ganz zu schweigen, auf welche Frau Friedrichsen hinweist. Sie erstrecken sich von „einen Menschen anzünden“ über „Feuer unter einem Menschen legen“ bis zum „ein brennendes Taschentuch neben den Schlafenden werfen“ und bleiben im Folgenden ungeklärt, weil es Plasberg und Reichelt anscheinend gleichgültig ist. Sie reden von der Sache, als handle es sich um eine reine Rechts- oder Bewertungsfrage, und merken gar nicht, dass der Kern des Falls auf der Tatsachenebene liegt, von der sie keine Ahnung haben.

Ein sehr instruktiver Text, der viel über Populismus erzählt.

Satire

Und Thomas Fischer war es auch, der die Satire-Bemühungen des Jan Böhmermann ordentlich geerdet hat, in diesem älteren Text bei ZEIT Online.

Der Komiker Böhmermann also sagte zum Präsidenten Erdoğan – neben manch anderem – „Ziegenficker“, und dies öffentlich und unter Hinzufügung der Bemerkung, hierbei handle es sich um eine in Deutschland verbotene Beleidigung. Wenn man Herrn B. glauben darf, wollte er damit nicht behaupten, dass der Präsident der Türkischen Republik tatsächlich häufig und bevorzugt den Geschlechtsverkehr mit Ziegen vollziehe. Vielmehr soll er, wie man hört, der Ansicht sein, dieses sei nicht der Fall. Damit scheiden die Tatbestände der Verleumdung und der üblen Nachrede (Paragrafen 187, 186 StGB) aus.

„Ziegenficker“ ist allerdings ein Wort oder eine Handlungsbeschreibung, die nach deutschem und nach türkischem Verständnis ein außerordentlich hohes Maß an Verachtung und Herabwürdigung beinhaltet. Reichert man diesen Begriff noch mit weiteren wie Pädophilie und der Beschreibung verachteter geschlechtlicher Gewohnheiten oder ekliger körperlich/sexueller Beschaffenheit an, erreicht man auch als „Komiker“ alsbald ein Tiefgeschoss-Niveau, welches an jedem mir bekannten Ort der Welt als schwerwiegende Verachtung, Herabwürdigung und Ehrverletzung angesehen wird: tatbestandliche „Beleidigung“ im Sinne der Paragrafen 103 und 185 Strafgesetzbuch also allemal.

Und wenn jetzt Gerichte Böhmermann freisprechen und Erdogan den Ehrenschutz verweigern, dann darf man sich ruhig wundern.

Zum anderen aber trug B. eine Beleidigung vor, die weit abseits allen dem Betroffenen nachgewiesenen oder nachgesagten „Drecks“ lag: Weder ging es um politische Gewalttaten noch um Korruption noch um Völkermord noch um dessen Leugnung noch um Rechtsbeugung, Nötigung oder Menschenrechtsverbrechen. Es ging ums Ficken hilfloser Ziegen.

Damit verfehlte unser Komiker schon im Ansatz jene Ebene, die er angeblich meinte, und derer er sich rühmt. Wer den amerikanischen Präsidenten als Indianermörder, den russischen Präsidenten als Wodkasäufer oder den Außenminister Südafrikas als Negerkiller bezeichnet, kritisiert weder die Empfindlichkeit der Genannten noch deren Verhalten, sondern zieht sie als plakative Beispiele kollektiver Unwert-Urteile ans Licht: Nicht die Person wird „komisch“ enthüllt, sondern ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe, einer Religion, einer „Rasse“, einem Staat. Das ist, was wir normalerweise „Chauvinismus“ nennen, im engeren, hier vorliegenden Sinn: „Rassismus“.

Der Komiker ist also kein bisschen komisch, erst recht nicht „satirisch“, sondern verbirgt eine durch und durch rassistische Herabwürdigung des Präsidenten der Türkei (als Türken = Ziegenficker) hinter dem Schleier vorgeblich „guten Willens“. Das mag keine schreckliche Untat sein, ist aber auch nicht gar nichts. Wenn man das im Klartext sagt, wird man jedenfalls wegen Kollektivbeleidigung bestraft und steht mit mindestens einem Füßchen in der Volksverhetzung.

Und es ist allein schon deshalb außerordentlich ärgerlich, weil es alles in den Dreck zieht, was die Tradition und Wirkung von Komik und Satire ausmacht: Die Selbstkritik, die Distanz, die Menschenfreundlichkeit, die Subversion von unten nach oben. Herrn Böhmermanns Komik ist also etwa so „satirisch“, wie Herrn Erdoğans Realsatire „komisch“ ist.

Mit diesem „Ziegenficker“-Gedicht hat Böhmermann der politischen Auseinandersetzung einen unglaublichen Bärendienst erwiesen, denn alle Rassisten und Nazis Deutschlands und ÖSterreichs nennen ihre indiskutablen Äußerung jetzt Satire und finden sich witzig (wahrscheinlich so witzig wie Jan Böhmermann sich selbst auch findet). Da ist der Sachsen-Anhaltinische Afd-Politiker Poggenburg und seine „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“-Hetze gegen Türken: alles nur zugespitzte Polit-Satire. Da ist das Posting des FPÖ-Politikers Strache „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden – ORF“, eine große Grafik mit dem kleinen Wort „Satire“.

Das alles, und noch viel mehr, verdanken wir Jan Böhmermann. Der aus meiner Sicht ja auch nur aus gekränkter Eitelkeit das Erdogan-Gedicht ins Programm genommen hat (am 31.3.16) weil in der Woche zuvor (17.3.16) Extra3 so schön viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Für einen dann zur Abwechslung mal wirklich satirischen und lustigen Beitrag:

Ja, so kämpfen wir jetzt halt mit den Folgen eines nur halb-witzigen Auftritts eines Super-Egos.

 

Ein Gedanke zu „Meine #Leseliste (18/7): Dumme Talkshowparolen / Satire“

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