Was könnte denn die Aufgabe von Journalismus sein? Irgendwelche Zahlen in die Welt zu setzen, diese aber weder zu versuchen zur erklären, einzuordnen, ihr Zustandekommen und die Rahmenbedingungen zu klären?
Ich dachte, das sei eine rhetorische Frage, aber in Wirklichkeit scheint es tatsächlich eine zu sein.
Zumindest muss ich mich bei diesem Thema belehren lassen, dass das so nicht geht. Dem Gender-Pay-Gap. Der Frage, ob und wie viel Frauen weniger verdienen bzw. am Lohn und Gehalt bekommen als Männer. Die „-21 Prozent“ sind heilig.
Das Argument geht meistens so: Es stimmt nicht, dass jede einzelne Frau genau 21 Prozent weniger verdient als ihr männlicher Kollege (korrekt.) Frauen verdienen zwar faktisch insgesamt weniger als Männer, aber sie arbeiten auch weniger und fallen öfter aus durchs Kinderkriegen und suchen sich auch oft von allein schlechter bezahlte Jobs und verhandeln auch schlecht, und zudem würden für die Berechnung nicht alle Einkünfte verrechnet, die in Deutschland zustande kommen, und deswegen ist die Lücke, wenn man von all diesen Faktoren absieht, viel kleiner, nämlich zwei bis sieben Prozent, je nachdem, mit wem man redet und was rausgerechnet wird.
Diese kleinere Zahl ist dann sozusagen der zu Diamant gepresste reine Sexismus und die „bereinigte“ Lücke, was nahelegt, dass die Faktoren, die man vorher rausgerechnet hat, nur eine Art Schrott waren, den es nicht zu beachten gilt – was Quatsch ist.
Also Finger weg von der Betrachtung der Zahlen – die übrigens möglicherweise zu anderen Schlussfolgerungen führen würden. Denn möglicherweise sind Pflegekräfte auf jeden Fall unterbezahlt, egal, ob das ein überwiegend von Frauen ausgeübter Job ist, oder ist diese Schlussfolgerung falsch?
Die taz und Peter Weissenburger wird deutlicher:
Aber stattdessen werden überall in der Republik die Eimerchen und Schwämmchen rausgezogen, um erst einmal die Zahl zu „bereinigen“. Es wird geschrubbt, gesprüht und gewienert – sogar von Leuten, die sonst wohl eher eine Putzfrau bezahlen.
Klar, wenn man diese ganzen störenden Faktoren „bereinigt“, liegt die Lohnlücke zwischen Mann und Frau „nur“ noch bei 6 Prozent. Schrubbschrubb. Und diese „Bereinigung“ ist Sauberleuten wie den Fakt-Checkern von heise.de, Politikern wie Jens „Alles-Parallelgesellschaft-außer-Mutti“ Spahn und Springer-ChefredakteurInnen äußerst wichtig.
Bloß nicht einordnen, erklären, bereinigen. Das geht mal gar nicht. Fakten, Fakten, Fakten und immer an die eigene Agenda denken.
Kommen wir zu einem ganz anderen Thema.
Wurden vor fünf Jahren nur 1,8 Prozent der Sexualdelikte von sogenannten Zuwanderern begangen, sind es heute 9,1 Prozent. Konzentriert man sich auf Fälle von Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung, stellen Zuwanderer 14,9 Prozent der Tatverdächtigen. Damit sind Asylbewerber und Flüchtlinge als Täter,(…) “, deutlich überrepräsentiert.
Fakten, Fakten, Fakten.
Schlußstrich drunter, AFD gewählt.
So wäre es, würde man die „bloß nicht relativieren“-Haltung auf dieses Thema übertragen. Wird aber nicht gemacht, und sicherlich wären Stokowski und Weissenburger auch ganz und gar dagegen.
Und so schreibt ja auch die FAZ
Die Frage, ob Flüchtlinge krimineller sind als Deutsche, kann die Statistik indessen nicht beantworten. Außerdem sind die Zahlen keineswegs ein Abbild der tatsächlichen Kriminalität im Land, sondern vielmehr ein Arbeitsnachweis der Polizei, hochgradig abhängig von Ermittlungsschwerpunkten und Anzeigeverhalten. Weil seit „Köln“ die Sensibilität für sexuelle Übergriffe gestiegen ist, könnte vermutet werden, dass seitdem Taten angezeigt werden, die Frauen vorher gar nicht gemeldet hätten. Das wäre kein Zuwachs, sondern eine Verschiebung vom sogenannten Dunkelfeld ins Licht der Öffentlichkeit. Aber genau weiß das keiner, und die Taten sind ja geschehen.
Wer sich die Berichterstattung ansieht: jeder Artikel, jedes (Mainstream?) Medium ordnet ein. Das findet jetzt eine ganz andere Klientel unerhört. Und Michael Hanfeld in der FAZ, wenn er den öffentlich-rechtlichen Medien vorwirft:
Die Zuwanderungswelle war lange ein großes Willkommen und dann ein zähneknirschendes Durchhalten, die zunehmende Gewalt- und Sexualkriminalität findet sich in kurzen Wortnachrichten oder in öffentlich-rechtlichen Erklärstücken, die das Phänomen relativieren wollen.
So, und nun?
Tja, ich denke, wir sollten uns darauf einigen, das Zahlen und Statistiken eingeordnet werden müssen. Ob uns das jetzt in die eigene politische Agenda passt oder nicht, und wir müssen uns ansehen, wie das passiert und meinetwegen systematisch nach Fehlern bei der Einordnung suchen. Das ist Arbeit, das ist mühevoll, das muss jemand bezahlen. Journalisten werden dafür bezahlt. Daher können sie nicht mit einem „Basta“ an ihren Lieblingszahlen festhalten. Denke ich.